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Gespräch mit Ingolf Tews vom „Atlantis“ Spieleladen in Wartenau

Ingolf Tews Atlantis Spieleladen Wartenau

von Kenny Schumacher, 28.02.2021

Seit 2012 bietet das Atlantis eine große Auswahl an Brett- und Rollenspielen zum Verkauf. Ich hatte die Gelegenheit mit Gründer und Inhaber Ingolf Tews über die aktuelle Situation der Spieleszene und ihrer Community zu sprechen.

Im Jahr 2004 wurde das Atlantis gegründet. War es denn einfach, als „Nischen-Laden“ in Hamburg Fuß zu fassen oder gab es anfänglich auch Startprobleme?

Ein wenig von Beidem. Es war für mich insofern etwas einfacher das Atlantis zu Gründen, weil ich vorher schon in einem Fantasy-Laden gearbeitet habe. Aus dieser Zeit habe ich einige Kunden mitnehmen können, auch wenn das vielleicht ein bisschen fies klingt (lacht). Ich war einfach schon super in der Szene vernetzt, viele Leute kannten mich weil ich zu dem Zeitpunkt bereits 20 Jahre in der Szene aktiv war. Ich habe regelmäßig Conventions besucht und wie gesagt lange in dem Bereich gearbeitet. Ursprünglich hat das Atlantis auch als reiner Fantasy-Laden angefangen – also mit Rollenspielen, Miniaturen und nur einem kleinen Anteil an Brettspielen. Ein kompletter „Nerd–Laden“ könnte man sagen. Wenn man schon einen kleinen Namen in der Szene hat, ist es natürlich etwas einfacher; trotzdem war es schwieriger als gedacht. Ich habe den Laden damals mit einem Partner eröffnet und wir haben gehofft, nach etwa 1-2 Jahren einen stabilen Punkt zu erreichen. Im dritten Jahr ist mein Partner dann ausgestiegen, weil es sich nicht getragen hat. Und selbst nach drei Jahren war das Atlantis, trotz der guten Vernetzung, noch nicht so bekannt wie erhofft. Eine Weile lang habe ich den Laden zusammen mit nur einer Aushilfe geführt, bis ich dann noch eine zweite Kraft einstellen konnte. Ab diesem Zeitpunkt etwa, ging es dann tatsächlich relativ schnell bergauf.

Ihr habt miterlebt wie Videospiele und das Internet mit seinem reichhaltigen Unterhaltungsangebot im Lauf der Zeit immer erfolgreicher und dominanter wurden. Gibt es denn in Hamburg eine starke Brettspiel- beziehungsweise Tabletop Community und hat euch das die Anfänge erleichtert?

Es gibt in Hamburg eine starke Brett- und auch Rollenspiel Community – tatsächlich die stärkste Rollenspiel Community deutschlandweit. In puncto Brettspiel kann ich das schwer beurteilen, dafür ist der Bereich zu vielfältig. Diese Community ist aber vor allem in den letzten Jahren stark angewachsen. Der Bereich Brettspiele entwickelt sich schon seit etwa 10 Jahren massiv nach Vorne – interessanterweise parallel, oder vielmehr als Gegenpol zu den Computerspielen.
Ein ganz klassisches Beispiel für diese Entwicklung sind cosims (Konfliktsimulationen). Das ist ein ziemliches Nischenprodukt, aber gerade in den 80er/90er Jahren waren die ganz stark auf dem Brett vertreten: Sehr abstrakt, große Karten und ganz viele, kleine Pappcounter, mit denen man große Schlachten nachgestellt hat. In den späten 90er Anfang 2000er Jahren waren die praktisch tot, weil sich alles auf den Computer verlagert hat. Irgendwann wurde den Leuten aber bewusst, dass der menschliche Geist jedem Computer überlegen ist – vor allem in Bezug auf Taktik. Also haben die Computerspiele angefangen zu schummeln; zum Beispiel indem der Computer wusste, wo gewisse Einheiten positioniert sind, obwohl es realistisch nicht möglich war. Das hat die Leute frustriert und sie haben wieder angefangen, mit menschlichen Partnern zu spielen. Die Computerspiele sind zurückgegangen und die klassischen cosims waren wieder stärker gefragt. Das ist jetzt ein sehr spezielles Beispiel, aber in dieser Form traf das auch auf viele andere Bereiche zu.

Seit einigen Jahren sind Brett- und vor allem Pen&Paper Rollenspiele auch im Internet stärker vertreten und in den Fokus gerückt. Shows wie „Critical Role“ haben durch das Streamen ihrer Spiele Sessions, vor allem in den USA, für eine regelrechte Wiederbelebung des Genres gesorgt. Hat sich diese Entwicklung auch für euch bemerkbar gemacht?

Den Bereich Rollenspiele und Brettspiele müssen wir da klar unterscheiden. Das sind zwei völlig unterschiedliche Segmente, die unabhängig voneinander laufen. Im Bereich Rollenspiel ist es so, das wir seit unserer Gründung in 90% aller Monate mehr Umsatz machen, als im Vormonat des Vergleichsjahres. In den ersten Jahren haben wir uns das damit erklärt, dass wir nun mal ein Fantasy-Laden sind und neue Kunden dazugewinnen – später dann mit dem Wegsterben anderer Läden hier in Hamburg. Seit einigen Jahren sind wir einer der letzten Läden dieser Art hier und legen trotzdem immer noch regelmäßig zu. Das ist allerdings die Ausnahme. Ich bin in einem Verbund mit vielen anderen Händlern aus dem Bereich Brett- und Rollenspiele. Die meisten nehmen ganz viele Rollenspiele aus ihrem Programm.
Ich habe festgestellt, wenn man Rollenspiele anbietet, dann muss man es groß machen und eine breite Auswahl anbieten. Daran muss man hart arbeiten, weil die Leute mittlerweile alle Sachen schnell aus dem Internet bestellen können. Außerdem hat sich die Pen & Paper Landschaft in den letzten 10-15 Jahren stark verändert, da viele Leute ihre eigenen Systeme und Abenteuer über Kickstarter etc. veröffentlichen können.
In den 80er Jahren gab es viele große Spielsysteme, von denen sich aber nur einige wenige wirklich in Deutschland etablieren konnten. Es gibt inzwischen extrem viele, vor allem kleinere Systeme in dem Bereich. Große Systeme, die man über Jahre spielt und immer wieder Zusätze dazu kaufen kann, gibt es tatsächlich kaum noch. Das liegt eben vor allem an den modernen Desk-Publishing-Programmen, mit denen man relativ einfach eigene Systeme erstellen kann. Durch Kickstarter kann man die auch noch ohne finanzielles Risiko veröffentlichen. Das hat die Rollenspiel Szene massiv verändert.

 

„Uns fehlt vor allem der Kundenkontakt extrem – wir alle machen den Job ja nicht, um damit reich zu werden.“

 

Die Pandemie und der Lockdown stellen uns alle vor neue Herausforderungen. Wie habt ihr die Entwicklung erlebt? Habt ihr euch schon früh darauf vorbereiten können oder seid ihr kalt erwischt worden?

Der erste Lockdown im März hat uns kalt erwischt. Ich hatte gedacht, es würde bei solchen Dingen wie einer Beschränkung der Kundenanzahl bleiben. Das komplett zugemacht wird, hat uns wirklich eiskalt erwischt – zumal wir keinen Online–Shop haben. Das haben wir aber tatsächlich gut auffangen können, vor allem durch treue Kunden im Brettspiel Segment, die angerufen und weiter Spiele oder auch Gutscheine bei uns gekauft haben. Wir haben dann außerdem ein Kundenkonto in unser System integriert, auf das man Geld für die Einkäufe bei uns einzahlen kann.
Als wir im Sommer wieder aufmachen durften haben wir sehr gute Geschäfte gemacht, vor allem im Frühsommer und Herbst. Das Problem des „Sommerlochs“ hatten wir bisher nie wirklich, da wir viel von Touristen profitiert haben. Die blieben natürlich im vergangen Jahr aus und deshalb waren diese Monate eher schwach.
Ich hatte schon eine Vorahnung, dass ein zweiter Lockdown kommen würde und habe angefangen, finanzielle Rücklagen zu bilden. Aber sonst haben wir nichts verändert. Der zweite Lockdown kam dann ja noch vor Weihnachten und das war natürlich besonders hart für uns, weil damit das komplette Weihnachtsgeschäft für uns zunichte gemacht wurde. Wir hatten unser Lager mit Ware vollgepackt und dann sind wir darauf sitzen geblieben.
Durch die Rücklagen sind wir nicht unbedingt am Boden zerstört, aber es fehlen definitiv Einnahmen. Im letzten Jahr haben wir erstmals weniger Umsatz gemacht als im Vorjahr und viele Bereiche laufen jetzt im zweiten Lockdown deutlich schlechter als noch im vergangenen März. Unsere gesamte Ladenverwaltung läuft über Excel, also handgemacht. Deshalb wollen und können wir gar keinen Onlineshop aufziehen. Da steckt eine unglaubliche Verwaltung dahinter und es gibt noch verschiedene andere Gründe, warum wir das nicht machen wollen. Wir versuchen den Leuten einfach weiterhin klar zu machen, dass sie uns telefonisch oder per Email kontaktieren und sich Sachen bestellen und zurücklegen lassen können, um sie dann hier abzuholen. Uns fehlt vor allem der Kundenkontakt extrem – wir alle mach den Job ja nicht, um damit reich zu werden (lacht).

 

„Menschen treffen sich wieder häufiger und machen einen Spieleabend zum Event.“

 

Ihr bietet im Normalbetrieb diverse, offene Rollenspielrunden im Laden an – dem ist momentan ein Riegel vorgesetzt. Trotzdem kann ich mir vorstellen, dass gerade in der aktuellen Situation Gesellschaftsspiele gefragter sind als sonst. Gibt es da eine Trend Entwicklung? Wie geht ihr bzw. die Community mit den Einschränkungen als leidenschaftliche Spieler um?

Die Community leidet schon sehr stark darunter. Es gibt natürlich diverse Plattformen auf denen man vor allem Gesellschaftsspiele online zusammen spielen kann, aber es ist eben nicht das Gleiche. Ich höre von verschiedenen Leuten wie sehr sie sich wünschen, endlich wieder zusammen an einem Tisch sitzen und Spielen zu können. Der kommunikative Faktor bei Brettspielen ist einfach sehr stark und verbindend – diese Entwicklung sehen wir in den letzten Jahren deutlich. Menschen treffen sich wieder häufiger und machen einen Spieleabend zum Event. Es ist eine ganz andere Art der Kommunikation – auch wenn man mit heutigen technischen Mitteln wie Teamspeak (Sprach Chat Software) vor dem Rechner sitzen und mit anderen reden kann. Aber diese Form der Kommunikation hat in den letzten Jahren wieder mehr an Wertschätzung gewonnen. Der Brettspiel Sektor wird immer stärker und größer. Einer der Hauptgründe ist eben die Kommunikation, das gesellige Beisammensein – Socialising, sage ich mal.
Aber alle Anlaufpunkte sind momentan tot. Unter normalen Umständen kann man in Hamburg jeden Tag zu einem öffentlichen Brettspiel-Treff gehen. Wir haben Läden wie das „Würfel & Zucker“, das Brettspiel–Café wo man hingehen und einfach Spiele ausprobieren kann. Es gibt auch die Live–Rollenspiel und Brettspiel Abende im „tanzenden Einhorn“, eine Kneipe unten am Dammtor. Da treffen sich für gewöhnlich auch viele Leute zum Austausch und Fachsimpeln. Und wir bieten auch unsere regelmäßigen Spieleabende an. Es gibt viele Möglichkeiten sich zu treffen, auszutauschen und gemeinsam zu spielen. Das fällt jetzt alles weg und niemand weiß, wann es wieder möglich sein wird – selbst wenn der Lockdown wieder vorbei ist. Es macht einfach unglaublich mürbe und leider geht auch viel verloren.
Das Wegfallen der Conventions ist für viele finanziell desaströs, vor allem aber sehr traurig! Denn dort treffen sich die leidenschaftlichen Spieler und die Community.
Natürlich jubeln die Spielverlage momentan – aber man muss auch sehen, welche Art von Spielen aktuell gut läuft und wie viele hinten runter fallen, weil sie sich im ersten Monat nicht gut verkauft haben. Ob das für die Spiele-Industrie im Allgemeinen so gut ist, vor allem in puncto Vielfältigkeit, das ist die Frage. Alles was komplexer ist und mehr Möglichkeiten bietet, läuft im Moment sehr schlecht.

Wie geht es dem Laden in der aktuellen Situation? Habt ihr auf die Entwicklung, zum Beispiel durch Online Angebote, reagiert und schafft ihr es euch gut über Wasser zu halten?

Wenn jemand eine Blitz-Idee hat, dann wird die besprochen und wir gucken, ob das sinnvoll ist – aber wir sind jetzt nicht krampfhaft auf der Suche. Unsere Geschäftsidee funktioniert über den direkten Kontakt. Wir schalten keine Werbung und trotzdem haben wir viele Kunden über ganz Deutschland verteilt, weil sie von unserer großen Auswahl vor Ort begeistert sind. Im Gegensatz zum Internet Shopping, kann man die Sachen hier anfassen, anschauen und sich außerdem noch fachlich beraten lassen – das macht den Unterschied.
Alles andere wäre improvisiert und eine Notlösung. Was außerdem gegen solche Dinge wie z.B. öffentliche Bestandslisten spricht, ist die Erwartungshaltung der Leute. Wenn wir das eine Weile machen und dann wieder raus nehmen, werden die Leute fragen:“ Warum? Das war doch so praktisch!“ Aber für uns ist es eben überhaupt nicht praktisch; es bedeutet viel Arbeit und ist sehr umständlich. Wir sind zwar immer noch am Überlegen, was wir anders machen könnten – aber eine richtig gut umsetzbare Idee blieb bisher aus. Deshalb sagen wir nach wie vor: Ruft an, schreibt Mails – wir stehen auf Kontakt (lacht). Es ist vielleicht komplizierter, aber charmanter und persönlicher, als einfach nur ein Häkchen zu setzen.

Was sind eure Wünsche und Hoffnungen für die Zukunft – für das Atlantis und euch selbst als Privatpersonen?

Für das Geschäft wäre es natürlich wichtig, das wir in irgendeiner Form wieder öffnen können. Es muss langfristig wieder möglich sein, in persönlichen Kontakt zu treten. Eine klare Linie bezüglich Lockdowns wäre auch sehr wünschenswert. Dieses ständige Auf und Ab geht sehr an die Substanz und macht das Planen auf lange Sicht schwierig. Mit vielen Regelungen tue ich mich persönlich schwer und verstehe da oft die Verhältnismäßigkeit nicht. Persönlich – in jedem Fall versuchen gesund zu bleiben und hoffen, dass nicht doch der große Absturz kommt; in Form von Arbeitslosigkeit zum Beispiel. Bisher konnte ich meinen Angestellten die Kurzarbeit ersparen und würde es auch gern weiterhin. Die Frage ist nur, wie lange es noch geht. Ich persönlich finde ja die Strategie mit abwechselnden Öffnungen und Schließungen angenehmer, als 3 Monate am Stück zu schließen. So kann man wenigstens zwischendurch nicht nur Energie auftanken, sonder auch Geld einnehmen. Ich merke einfach nach mittlerweile acht Wochen, wie mürbe es macht. Und das verstärkt auch nicht gerade die Akzeptanz. Man merkt, dass die Leute keine Lust mehr haben und das ist ein Problem.


Das Interview fand am 3.2. im Atlantis, Wartenau statt.

Website Atlantis

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