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Erleben Gesellschaftsspiele eine Renaissance?

Brettspiel

von Kenny Schumacher, 28.02.2021

Klassische Gesellschaftsspiele haben gegenüber der digitalen Unterhaltungsindustrie einen schweren Stand. Streamingdienste wie Netflix, Disney + und Twitch, das Video Content Portal Youtube, oder aber das vielfältige Angebot der Videospiel Industrie, bieten unzählige Stunden an Unterhaltung. Dennoch verzeichnen die Spielwarenhersteller in Deutschland zuletzt einen positiven Trend.

 

Wie so viele andere Läden und Geschäfte, ist auch das Atlantis in Wartenau vom aktuellen Lockdown betroffen. Die Regale im Ladeninneren sind gut sortiert und bieten eine große Auswahl unterschiedlichster Brettspiele, Rollenspiel–Systeme und Miniaturen. Das ein oder andere Deko-Stück aus dem Fantasy- und Science-Fiction Bereich setzt optische Highlights und lässt Nerdherzen höher schlagen. Wer bei dieser Bandbreite die Übersicht verliert, findet kompetente und fachkundige Beratung bei den freundlichen Mitarbeitern.  Noch könne man sich einigermaßen über Wasser halten, so Ingolf Tews, Gründer und Eigentümer des Atlantis. Aber die Sorge wächst. „Ich hatte schon eine Vorahnung, dass ein zweiter Lockdown kommen würde und habe angefangen, finanzielle Rücklagen zu bilden. Durch die Rücklagen sind wir nicht unbedingt am Boden zerstört, aber es fehlen definitiv Einnahmen. Im letzten Jahr haben wir erstmals weniger Umsatz gemacht als im Vorjahr und viele Bereiche laufen jetzt im zweiten Lockdown deutlich schlechter, als noch im vergangenen März.“, sagt Tews im persönlichen Interview.

Also doch kein so positiver Trend, wie vermutet?

Tatsächlich sind Gesellschaftsspiele und Puzzles in der Pandemie so gefragt wie nie – in der Branche spricht man sogar von ersten Lieferengpässen. Die deutschen Spielewarenhersteller haben ihre Produktion in den ersten neun Monaten der Pandemie deutlich hochgefahren. Im Gegensatz zum Vorjahr um 3,4 Prozent, laut dem Statistischen Bundesamt.
Immer mehr Menschen finden wieder Freude am Gesellschaftsspiel – fast schon eine logische Konsequenz in Zeiten, in denen soziale Kontakte und Interaktionen stark eingeschränkt sind. Diesen Trend kann auch Ingolf Tews bestätigen: „Der kommunikative Faktor bei Brettspielen ist einfach sehr stark und verbindend – diese Entwicklung sehen wir in den letzten Jahren deutlich. Menschen treffen sich wieder häufiger und machen einen Spieleabend zum Event.

 

Spieleverlage jubeln, der Einzelhandel hat zu kämpfen

 

Laut einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach spielen rund 33 Millionen Deutsche zumindest ab und an Gesellschaftsspiele – rund 5,6 Millionen sogar regelmäßig. Vor allem Klassiker wie „Monopoly“, „Kniffel“ und „Mensch ärgere dich nicht“ sind derzeit sehr gefragt. Zudem sind kooperative „Exit Games“ und sogenannte „Roll & Write“-Spiele, mit schnell verständlichen Erklärungen und kurzer Spielzeit, sehr erfolgreich. „Der Bereich Brettspiele entwickelt sich schon seit etwa 10 Jahren massiv nach vorne – interessanterweise parallel, oder vielmehr als Gegenpol zu den Computerspielen.“, erklärt Ingolf Tews. Die allgemeine Entwicklung der Spieleindustrie sieht er allerdings skeptisch: „Natürlich jubeln die Spieleverlage momentan. Aber man muss auch sehen, welche Art von Spielen aktuell gut läuft und wie viele Hinten runterfallen, weil sie sich im ersten Monat nicht gut verkauft haben. Ob das für die Spieleindustrie so gut ist, vor allem in puncto Vielfältigkeit, das ist die Frage. Alles was komplexer ist und mehr Möglichkeiten bietet, läuft momentan sehr schlecht.

 

Pen & Paper Stifte Würfel Charakterbogen

Charakterbogen, Stift und Würfel: Pen & Paper Rollenspiele bieten eine komplexe und tiefgehende Spielerfahrung. Foto: Marcel Ste @Pixabay

Problematisch sind die vielen abgesagten Messen und Roadshows für die Spieleverlage. „Gesellschaftsspiele brauchen nun einmal die Gesellschaft.“, so Axel Kaldenhoven, Chef des Verlags Schmidtspiele. Neuheiten ohne die Möglichkeit der Kommunikation auf den Markt zu bringen, gestalte sich als sehr schwierig. Sorge vor einem Absturz der Verkaufszahlen nach dem möglichen Ende des Lockdowns, bestehe bei den Verlagen allerdings nicht. Man habe genug Menschen wieder für das gemeinsame Spielen begeistern können. „In der digitalen Welt brauchen die Menschen auch mal Abwechslung“, meint Hermann Hutter, Vorsitzender des Branchenverbands  Spieleverlage e.V. „Je mehr die Menschen spielen, desto mehr Lust bekommen sie“.

 

Kontaktbeschränkungen treffen Spieler-Community hart

 

Ein weiteres großes Problem stellen auch die aktuellen Kontaktbeschränkungen für alle leidenschaftlichen Spieler dar.  „Unter normalen Umständen kann man in Hamburg jeden Tag zu einem öffentlichen Spiele-Treff gehen“ , sagt Ingolf Tews im Interview. „Das fällt jetzt alles weg und niemand weiß, wann es wieder möglich sein wird – selbst wenn der Lockdown wieder vorbei ist. Es macht einfach unglaublich mürbe und leider geht auch viel verloren. Das Wegfallen der Conventions ist für viele finanziell desaströs, vor allem aber sehr traurig! Denn dort treffen sich die leidenschaftlichen Spieler und die Community.“ Zwar bieten die heutigen technischen Mittel  Möglichkeiten, sich via Internet zu treffen und gemeinsam zu spielen: Die Spiele lebten aber von der direkten Kommunikation, vom Austausch und Fachsimpeln, so Tews weiter.

Um etwa 30 Prozent stieg der Verkauf von Spielen für Erwachsene 2020 im Vergleich zum Vorjahr. Die Umsätze von Gesellschaftsspielen insgesamt erhöhten sich um 21 Prozent. Die positive Entwicklung für die Spieleindustrie ist nicht von der Hand zu weisen. Für den Einzelhandel und somit Geschäfte wie das Atlantis, gestaltet sich die Situation jedoch nach wie vor schwierig.
Der zweite Lockdown kam ja noch vor Weihnachten und das war natürlich besonders hart, weil damit das komplette Weihnachtsgeschäft für uns zunichte gemacht wurde. Wir hatten unser Lager mit Ware vollgepackt und dann sind wir darauf sitzen geblieben“, sagt Tews. Er wünsche sich eine klarere Linie bei den Lockdowns und hoffe den großen Absturz durch Arbeitslosigkeit vermeiden zu können. Und das Atlantis bald wieder öffnen zu dürfen. „Uns fehlt vor allem der Kundenkontakt extrem – wir alle machen den Job ja nicht, um damit reich zu werden“.

Nach wie vor kann man telefonisch oder per Email Kontakt zum Atlantis aufnehmen, sich beraten lassen und den Laden unterstützen, indem man seine Spiele dort kauft. Ähnlich wie bei Restaurants holt man seine Bestellung dann vor Ort ab.

 

- Den Link zur Internetseite des Atlantis findet ihr hier -