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Von der Couch-Kartoffel zum Ironman

Nice Irons Hamburg, Foto: Jan Huss

von Gila Thieleke, 26.10.2012

Es ist ein Trugschluss, dass der von vielen bewunderte „Ironman“ nur auf Hawaii ausgesportelt wird – in 15 Staaten gehen die Sport-Junkys an den Start. Die Besten dürfen dann zum weltbekannten Wettkampf nach Hawaii und müssen nochmal die selbe Distanz absolvieren.

Benedikt Schreiner (kurz: Bene) und Andreas Zaun alias die „Nice Irons“ sind zwei Hamburger Leistungssportler, die unter anderem die olympische Distanz beim Hamburg Triathlon absolvierten. Nach dem Zieleinlauf stellte Andreas fest: „Das war doch schnulli! Wir machen jetzt den Ironman!“ Ganz schnullimäßig wollen die beiden Kollegen in bis zu 17 Stunden die Gesamtdistanz von 225 Kilometern in Nizza (Frankreich) hinter sich bringen. Das erfordert extrem viel Disziplin.

Vor zwei Jahren konnte ich nicht mal kraulen! Heute trainiere ich für den Ironman

Benedikt (33) steht jeden Morgen um ganz genau zwei Minuten nach sieben auf. Es folgt die tägliche Pulsmessung, anschließend schmiert er für sich und Lebensgefährtin Meike Brote (für ihn sind es ein paar Stullen mehr), danach bringt er seiner Freundin einen Kaffee ans Bett, packt seine Sportsachen und düst jeden Morgen um 8:30 Uhr mit dem Fahrrad zur Arbeit. Es scheint, als könne er selbst gar nicht fassen, wo er sich da hineinkatapultiert hat: „Vor zwei Jahren konnte ich nicht mal kraulen! Heute trainiere ich für den Ironman“ erzählt Bene fassungslos. Und das ist wirklich erstaunlich. Denn der IT-Experte hat bis vor wenigen Jahren noch nicht viel Sport getrieben und brachte bei einer Größe von 1.90 Metern einst ein Gewicht von 120 Kilo auf die Waage. Heute sind es 30 Kilogramm weniger und wöchentlich 17 Stunden Laufen, Schwimmen und Radfahren mehr! Bereits nach acht Wochen Training rutschte die Kleidung derart offensichtlich, dass ich beim Interview dachte, dem armen Jungen sei das Geld ausgegangen. Weit gefehlt, die Prioritäten haben sich geändert und die kostbare Zeit wird neben Beruf und Privatleben mit Sport verplant.

Auch Andreas (38), Vater von zwei Kindern, muss sich „maximal umorganisieren“ wie er es nennt. „Früher habe ich mit meiner Frau sonntags Tatort geschaut. Auf Fernsehen zu verzichten bedeutet heute eine kleine Laufrunde mehr.“ Die kleine zusätzliche Laufrunde besteht zum Beispiel aus 14 Kilometern um den Flughafen. Während der Projektleiter auf das abendliche TV-Programm verzichtet, entbehrt seine Familie wiederum Vater und Ehemann. „Meine Frau ist ab und zu genervt und muss sich häufiger alleine um die Kids kümmern. Sie hätte auch kein Verständnis, wenn ich jeden Sonntag trainieren gehe. Meine Familie weiß aber, dass der Ironman einen besonderen Stellenwert hat. Hier geht es nicht um einen normalen Triathlon sondern um einen der härtesten Wettkämpfe der Welt.“ Und um den zu bestehen, brauchen Sportler oft bis zu zwei Jahre Vorbereitung. Die „Nice Irons“ wollen es in nur neun Monaten schaffen.

Bene: „Das ist kein Wettkampf gegen andere. Es ist ein Wettkampf gegen mich selbst!“ Moment mal, es gilt eine Gesamtstrecke von rund 225 Kilometern zu bestreiten, vergleichbar mit der Strecke Hamburg – Bielefeld. Die Radstrecke durch die französischen Seealpen bei bis zu 2.600 Höhenmetern gilt als eine der härtesten Europas. Für den Kampf gegen sich selbst nimmt er ganz schön viel in Kauf, finde ich. Zu mal sich Extremsportler nicht immer Lob und Anerkennung einheimsen. Andreas: „Von Schock über ‚Vogel zeigen’ bis hin zur Ungläubigkeit sind viele Reaktionen dabei. Die erste Resonanz meines Vaters auf den Ironman: ‚Du bist doch bescheuert.’ Meine Frau glaubt nicht, dass ich es schaffe und den Kollegen ist es suspekt.“

Wäre es nicht eine Alternative, gemäßigt Sport zu treiben und dafür in andere Bereiche wie zum Beispiel Familie oder Beruf mehr Energie zu investieren? Darauf Bene: „Ich habe zuerst eine Ausbildung gemacht und viel später studiert als andere. Mein Job als IT-Projektleiter macht mir Spaß.  Aber man muss realistisch sein – Ich stehe jetzt in Konkurrenz zu Anfang 20-Jährigen. Für eine steile Karriere muss man früh anfangen.“

Sport-Psychologin Frauke Wilhelm trainiert junge Hochleistungssportler für Olympia und kann nachvollziehen, was Bene beschreibt: „Nirgends sonst hat man seine Ziele so klar definiert vor Augen wie beim Sport. Es gibt Menschen, denen etwas in anderen Lebensbereichen fehlt oder die Enttäuschungen erleben mussten, also kompensieren sie dieses Defizit bzw. Misserlebnis mit Sport.“

Machen sich die Menschen damit etwas vor? „Einige mit Sicherheit. Aber es gibt Sportler, denen macht es einfach Spaß, sich zu bewegen. Man muss auch zwischen Leistungssportlern und Berufssportlern unterscheiden. Wer mit Sport sein Geld verdient, hat eine ganz andere Motivation.“

Bleiben wir bei den Leistungssportlern. Was sagen Sie konkret zu dem Phänomen, dass Sportmuffel plötzlich Übersportler werden? „Insbesondere wenn die erste Phase des beruflichen Aufbaus vorbei ist, geht es um neue Ziele. Die Leistungsfähigkeit nimmt ab und wir merken, dass tägliches Training uns fitter macht. Bei Bewegung werden Endorphine und Glückshormone ausgeschüttet, die ein berauschendes Erlebnis auslösen, was wir möglichst oft erleben möchten. Sport kann somit auch zur Sucht werden.“

Wir halten also fest: Einige kompensieren mit Leistungssport Defizite aus anderen Lebensbereichen. Sie machen sich damit aber etwas vor, weil sie das eigentliche Problem verdrängen und glauben, dass Extremsport diese Lücke füllt. Sportsucht kann eine Ursache sein, warum ehemalige Couch-Kartoffeln sich immer höhere Ziele stecken und scheinbar mit dem bisher erreichten nicht mehr zufrieden sind. Andere wiederum brauchen die Bestätigung für ihr Ego – einfach so, ohne etwas auszugleichen.

Wie so oft, ist die goldene Mitte wohl der beste Weg. In Maßen zu trainieren scheint das Credo. Denn welche negativen Begleiterscheinungen das übermäßige Training mit sich bringt, haben auch unsere beiden Hamburger Jungs bereits bemerkt.  Durch Überbelastung von Muskeln, Knochen und Sehnen können schmerzhafte Erkrankungen entstehen, die laienhaft als „Tennisarm“ oder „Fußballerknie“ bezeichnet werden.

Geht es darum, einen Traum zu verwirklichen, nehmen wir Menschen wohl einiges in Kauf. Und mal ehrlich, von sich sagen zu können, man habe beim Ironman mitgemacht, ist doch alles andere als schnulli.