Fit durch den Winter – aber nicht mit Vitamin C ?
von Gila Thieleke, 22.11.2012
Vitamin C der Fit-Macher schlechthin? Laut den Recherchen einer Welt-Journalistin soll Vitamin C das Krebs-Risiko erhöhen. Ein Allgemeinmediziner wiederum wirft der Redakteurin Befangenheit vor und glaubt, dass die Pharmaindustrie dahinter steckt. Von Vitaminen zu Qualitätsjournalismus…
Na toll, gerade wieder zurück in Hamburg und schon legt mich eine knackige Erkältung so richtig lahm. Schnupfen, Husten, Halsschmerzen – das volle Programm. Also gönne ich mir ein paar Tage Erholung und recherchiere direkt mal die besten Fit-Macher.
Vitamin C – alle sagen einem, man solle viel davon zu sich nehmen. Ob Apotheker, Oma, Mama oder der Nachbar von nebenan. Vitamin C sei etwas Gutes. Das hab ich von diversen Gesprächen noch im Kopf. Also stiefel ich los und besorge mir das Rundum-Sorglos-Paket. Orthomol Immun – ein Vitamin-Präparat, das auch einige Krebs-Patienten während bzw. nach der Chemo einnehmen, Ingwer plus Vitamin C Trinkbeutel, Vitamin C Nahrungsergänzungsmittel in Kapsel-Form und Gelomyrtol, damit sich der ganze Schnodder-Kram auch richtig löst. Die Präparate nehme ich seit einer Woche zu mir und fühle mich bedeutend besser.
An Tag acht erinnere ich mich an eine Studie, dass Nahrungsergänzungsmittel besonders bei älteren Patienten zu negativen Begleiterscheinungen geführt haben. Hm, also Laptop an und ab geht die Online-Recherche. Und siehe da, was finde ich? Einen Artikel der Online-Tageszeitung Welt Online (veröffentlicht am 19.08.2009) mit der Überschrift „Die dunkle Seite des Vitamin C“. Diesem entnehme ich, dass Vitamin C hochdosiert sogar die Bildung von Krebs-Zellen fördern soll! Es scheint, als gäbe es zu jeder Studie eine passende Gegenstudie. Das nervt mich schon seit Jahren!
Können Wissenschaftler nicht einfach einen guten Weg finden, uns konkret zu sagen, was welchen Menschen gut tut und was nicht? Eine Einteilung in verschiedene (Risiko-) Gruppen wäre ja in Ordnung (nach dem Motto, Menschen mit geringem Blutdruck sollten das Essen, aber jenes nicht usw.).
Zurück zu den Vitaminen. Rückblick: Der Chemiker und zweifache Nobelpreisträger Linus Pauling untersuchte vor einem halben Jahrhundert die Wirkung von Vitamin C. Er setzte es in hohen Dosen zur Krebsprophylaxe ein. Über Jahre immer wieder diskutiert, kritisiert und dennoch vielfach bestätigt, folgte die von der Welt-Redakteurin aufgeführte Gegenstudie: Forscher der Harvard-Universität in Boston sollen nachgewiesen haben, dass eben jene Vitamine Krebs fördern. Laut dem Welt-Artikel entfalten sie die gleiche Wirkung im Körper wie ein Krebsgen (Onko-Gen).
Ich recherchiere weiter und stoße wiederum auf ein ins Internet gestelltes PDF als direkte Reaktion auf den Welt-Artikel mit der Überschrift “Sind Vitamine gefährlich?” von Karl- Braun von Gladiß, einem Allgemeinmediziner. Dieser wirft der Journalistin Befangenheit vor, zitiert in seiner Fußnote einen Pressetext, in dem es um Korruption im Medizinjournalismus geht sowie um die Einflussnahme der Pharmalobby auf die Medien. Laut von Gladiß nehme die Pharmaindustrie gezielt Einfluss auf das Verbraucherverhalten. Journalisten bzw. die veröffentlichen Artikel sind somit das Mittel der Einflussnahme.
In der Tat klingt die Überschrift des Welt-Artikels mit „Die dunkle Seite des Vitamin C“ schon sehr nach einer Mischung aus „Star Wars“ und „die Achse des Bösen“. Der Arzt untermauert in seiner Abhandlung die positiven Eigenschaften von Vitamin C anhand einer Reihe von Untersuchungen, Studien und Literaturhinweisen. Jedoch geht er in keinem Wort auf die von dem Bostoner Forscherteam durchgeführte Studie ein, die in dem Welt-Artikel angeführt wird. Eine Frage steht doch unerlässlich im Raum: Ist es nun wahr, was die Wissenschaftler in Boston herausgefunden haben oder nicht? Und wie sollen wir Menschen das einordnen?
Auch andere Internetseiten werfen der Welt-Journalistin schlampige Recherchen vor. Fakt ist, viele Journalisten nehmen sich nicht mehr viel Zeit, lange zu recherchieren. Die journalistische Qualität leidet scheinbar von Jahr zu Jahr mehr und mehr. Ich selbst merke, dass ich bei intelligenten Formulierungen immer wieder an meine Grenzen stoße. Unsere Zeit ist schneller und manchmal auch ein bisschen „schlampiger“ geworden. Das Internet birgt bekanntermaßen viele Recherche-Möglichkeiten, aber leider auch eine Vielzahl an Fehlerquellen. Nicht desto trotz ist das keine Entschuldigung für das Verbreiten von falschen Informationen. Ganz gleich ob es „vorsätzlich“ geschieht oder “fahrlässig”.
Fest steht, die Unsicherheit der Verbraucher – nein, einfach der Menschen wird geschürt. Und dieses Problem zieht sich durch alle Lebensbereiche: Bei Lebensmitteln in Form von Gammel-Fleisch, Billig-Kleidung die Nervenkrankheiten auslösen soll oder eben die mal fatale, mal hoch gelobte Wirkung von Medikamenten oder Nahrungsergänzungsmitteln. Eines bewirken die Skandale sowie die mal positiv mal negativ ausfallenden Studien und Gegenstudien auf jeden Fall: Vollkommene Verwirrung.
Es ist nicht nur so, dass wir nicht mehr entscheiden können, was besser ist. Wir wissen schlichtweg nicht mehr, was richtig und was falsch ist.
Die Frage lautet nicht mehr: Nehme ich dieses oder jenes Vitamin C Präparat beziehungsweise kaufe ich eher Rind oder doch lieber Schwein. Sondern: Soll ich diese Dinge überhaupt konsumieren?
An diesem Artikel habe ich nun insgesamt acht Stunden gesessen über mehrere Tage verteilt. Immer wieder habe ich die Veröffentlichung verschoben mit der Begründung „Ich muss noch mal genauer recherchieren“. Die absolute Sicherheit hat man wohl nie. Eine Antwort auf die Frage, ob (hochdosiertes) Vitamin C gut oder schlecht ist, habe ich nicht gefunden. Eines weiß ich jedoch: Es wäre schön, wenn Journalisten, Wissenschaftler, Politiker, Unternehmer und jeder Einzelne uns ein kleines bisschen Unsicherheit nehmen würde, anstatt sie noch zu vergrößern. Und in der Zwischenzeit kaufe ich mir eine große Ladung Obst und Gemüse, um die Abwehrkräfte zu stärken…