Raus aus der Provinz, rauf auf’s Pferd
von Astrid Multicultipress, 24.07.2019
“Es geht darum, dem Alltag zu entfliehen, mal richtig abschalten, in eine andere Welt zu tauchen, abgeschottet von der Außenwelt auf einem sehr intensiven Level”, so die kochende, marzipantortenkreierende Indianerin Mona Stange.
Mona Stange bekommt ihr Leben auf vielen Ebenen gebacken. Nicht nur, dass die hübsche Hobbybäckerin unwiderstehliche Marzipantorten kreieren kann. Auch in ihrem zweiten Hobby, dem Reiten, erlebt die 24 Jährige mit den strahlend blauen Augen Einzigartiges: Sie ist eine der zwölf Reiterstatisten bei den Karl-May-Festspielen in Bad Segeberg. Schon zum vierten Mal jagt Mona Stange als Indianerin durch die Arena.
Hinter dem Indian Village, der nachgebauten Wildwest-Kulisse, liegen die Pferdeställe. Dort herrscht unter vornehmlich jungen Leuten ein reges Treiben. Um 12 Uhr treffen sich die Darsteller zu den Vorbereitungen der Vorstellungen, die jeweils um 15 und 20 Uhr stattfinden. Im Stall wird geputzt, gestriegelt, gesattelt, gezäumt. Rund 40 Pferde müssen für das große Event fertiggemacht werden. Ein Tier wird in die Waschbox geführt und einshamponiert. Einige andere Vierbeiner stehen bereits draußen am Halfter angebunden.
Im Alltag ist Mona Stange Lehramtsstudentin (Biologie und Englisch Gymnasialstufe) in Kiel. Zuhause ist sie in der Nähe von Bad Oldesloe, wo sie auch eine Reitbeteilung hat. Raus aus der Provinz. Das ist Multitalent Mona Stange gelungen. Zusammen mit ihrem Lebensgefährten Jan ist sie rezent nach Hamburg gezogen. Genauer gesagt nach Hamburg Hamm, wo sie das Glück hatte, eine 50 Quadratmeter große Genossenschaftswohnung zu bekommen.
“Bei Ikea Moorfleet waren wir eine zeitlang Stammkunden, wir haben unser Nest zusammen eingerichtet”, strahlt die junge Studentin. Und tatsächlich vermittelt die gepflegte, geschmackvoll eingerichtete Wohnung viel Ambiente und Liebe zum Detail. Harmonisch angeordnete Fotografien und Bilder zeugen von einem bunten, ausgeglichen Leben mit einem intaktem, fröhlichen Familien-Background. Ein auf Leinwand kaschiertes Bild sticht besonders ins Auge. Es zeigt Mona im Januar 2017 in Rastede, ein kleiner Ort in der Nähe von Bremen. Dort findet alljährlich das M.P.S. Phantasiespektakulum statt. Ein Mittelalterfestival, wo sich Ritter und Fabelwesen an der Taverne (Schenke) zu ausgeklügelten Rollenspielen treffen. Das Foto zeigt Mona im grünen Elfenkostüm. Mit niedlich abstehenden Ohren lacht die joviale Jugendliche sprichwörtlich von einem Ohr zum anderen. Daneben ihr Freund Jan, der aussieht, als wäre er eine fleischgewordene Computerspielfigur. “Jan macht beim sogenannten Costplay mit. Ein Spiel, bei dem sich die Teilnehmer wie Comicfiguren verkleiden”, erklärt mir Mona, während sie sich mit hochgezogenen Knien und heiß-dampfenden Kaffee auf dem Sofa flegelt. Ja natürlich, die Herstellung der Kostüme sei eine aufwändige Sache. Denn alles muss selbst produziert werden, von dem Gewand bis zur Rüstung.
Nicht umsonst hat Mona schon den ein oder anderen Gewandungswettbewerb gewonnen, eine große Anerkennung und Ehre unten den Mitstreitern dieser nerdigen Szene. Fragt man die junge Dame, wie und in welchem Zeitraum man so etwas hinbekommt, muss Oma herhalten. “Meine arme Omi”, jammert Mona rückblickend und verdreht theatralisch die Augen, “Rund um die Uhr musste die alte Dame ran, wir haben zusammen drei Wochen ohne Unterbrechung am Stück genäht, gebastelt, geschwitzt, jeden Tag”. Als Nähanleitung diente nur ein fertiges, mittelalterliches Schnittmuster, dass Oma und Enkelin kreativ abwandelten.
Szenenwechsel: zurück zu Monas aufregender Karl-May-Rolle. Wie ist sie dazu gekommen? “Eher zufällig”, gibt die junge Reiterin breitwillig Auskunft. “Meine Schwester hat mich auf eine Zeitungsannonce aufmerksam gemacht, dass Reiterstatisten gesucht werden”. Erinnerungen über Winnetou und seine Schwester Nacho-tschi werden wach. “Mein Vater ist bis heute Karl-May Fan”, erklärt Mona. Bei der Generalprobe sitzt er in der ersten Reihe und feuere sie “super aufgeregt” an. Ebenso begeistert ist ihre zweijährige Nichte, die auch schon vom “Pferdevirus” infiziert sei.
Wenig später schlendert Mona Stange zu den Boxen. Die Pferde buhlen mit gespitzten Ohren um ein Leckerli. Alle, nur eines nicht. “Der Fuchs” oder “Brauni”, wie der hellbraunen Wallach genannt wird, legt seine Ohren flach zurück. Ein unmissverständliches Zeichen dafür, dass ein Zweibeiner seine Komfortzone stört. “Der ist heut schlecht gelaunt”, streichelt Mona seine Nüstern und lächelt nachgiebig. “Der Fuchs” ist nur bei einem lammfromm- und das ist Rainer Steve, der seit 30 Jahren einen eigenen Hof besitzt und der den Wallach als eines seiner Kutschpferde fest im Griff hat. Neben den Kutschpferden gibt es noch die sechs Stuntpferde, die von einem separaten Team betreut werden.
Stolz präsentiert Mona Stange ihre “Kara”, ein braun-weiß geschecktes Indianerpony, wie aus dem Bilderbuch. Das freundliche, verschmuste Tier ist die einzige Stute unter den 50 tierischen Statisten. Nur eine Sache mag sie überhaupt nicht leiden: wenn jemand zu nahe an ihr Hinterteil kommt.
“Für mich ist ein großer Traum in Erfüllung gegangen”, schwärmt Mona Stange über ihre Premiere bei den Karl-May-Festspielen. Sie war “super geflasht”, als sie 2015 ihren Jungfernritt antrat. Vor allem das Miteinander des Teams imponiert ihr noch immer. Die Atmosphäre inmitten rauchender Colts, galoppierenden Pferden und Rothäuten, Explosionen und packenden Zweikämpfen sei sehr familiär. Die Gage, einmalig 4000 Euro, spiele dagegen keine so große Rolle. Viel eher geht es darum, dann und wann aus dem Alltag auszusteigen und eine komplett andere Rolle einzunehmen.
Die der reitenden Indianerin. Oder die der liebenswerten Elfe, die im Gegensatz zu den Büchern von “Herr der Ringe” nicht mit den “Orks” verfeindet ist. Statt Animositäten reichen sich schwarze “Orks” und weiß-silbrige Feen und weitere Fabelwesen zum gemeinsamen Feiern und friedlichen Austausch die Hand.
“Es geht darum, dem Alltag zu entfliehen, mal richtig abschalten, in eine andere Welt zu tauchen, abgeschottet von der Außenwelt auf einem sehr intensiven Level” erklärt Mons Stange den Grund und die Triebfeder ihres Tuns.
Langsam versteht man, wie die junge, kreative Frau tickt. Dass sie trotz der Pest und dem Schrecken des Mittelalters archetypischen Strukturen und die Symbolik von Mythen und Märchen aufrecht erhalten will. “Let your heart be light” ist die Botschaft auf ihrem Social Media Account. Nerds wie Mona (Plural Nerdecke) haben ein magisches, aber mental-vernünftiges Mind-Set, dass auf Respekt und Toleranz gegenüber seiner Mitmenschen basiert. Und sie beweisen, dass entgegen aller Klischees Nerds nicht immer menschenscheue Computerfreaks sein müssen. Sondern das eine Affinität zum Außergewöhnlichen auch eine durchaus emphatische Sache mit viel Spaß sein kann.
So wie auch jetzt bei den Reiterspielen. Wenn die Vorstellung um 15 Uhr beginnt, reiten die Statisten um 14 Uhr mit den gesattelten Pferden zur Hinterbühne und halten sich bereit. Natürlich verspüre man Lampenfieber, wenn die letzte Fanfare ertönt, so Mona Stange. Die Aufregung des Publikums übertrage sich. Mit dem Beifall am Ende weiche die Anspannung. “Ein schönes Gefühl, wenn man so bejubelt wird”, gesteht die Stormanerin mit einem charmanten Lächeln. Das Besondere sei, dass rund um den Kalkberg alle miteinander Spass am Job hätten.”Gleichgesinnte, alle vom Karl-May-Virus infiziert” fasst Mona das idealistische Work-Flow-Konzept ihrer Kollegen zusammen.
Wird sie auch im nächsten Jahr wieder dabei sein? “Wohl eher nicht”, blickt Mona dem Ende ihrer Studienzeit entgegen. Dieses Jahr macht sie den Master und arbeitet zusätzlich noch in der Eventagentur ExperiArts Entertainment in Hamburg. Dort betreut sie das Gästemanagement für eine große Charity-Reiter-Veranstaltung. Sie nimmt Anmeldungen entgegen und berät die Teilnehmer. Ihr Chef heißt Thill Demtrøder. Kommt Ihnen dieser Name bekannt vor? Yes. Yep. Bingo. Er hat 2016 bei den Karl-May-Spielen den Old Shatterhand gespielt. Seite an Seite hat er mit Mona eng zusammengearbeitet hat. Und half ihr, in das Eventbusiness einzusteigen.
Der Kreis schließt sich. Zu einem holistischen, harmonischen Ganzen. Ganz wie es dem positiven Mindset der multitalentierten, kreativen und eloquenten Persönlichkeit von Mons Stange entspricht.
In der 17.000 Quadratmeter großen Freilichttheater am Kalkberg in Bad Segeberg sind zum 68. Mal die Karl-May-Spiele zu sehen. Bis heute haben schon mehr als 11,5 Millionen Menschen die rund 3.500 Vorstellungen besucht. 80 Mitwirkende zeigen mit 25 Pferden unter anderem spektakuläre Stunts und eine atemberaubende Pyrotechnik. Die Saison dauert vom 23. Juni bis 2. September 2019. Die zweistündigen Vorstellungen beginnen donnerstags, freitags und Sonnabends um 15 Uhr und 20 Uhr, sowie sonntags nur um 15 Uhr. Karten kosten 13 bis 29,50 Euro. Sie können über die Ticekthotline 01805/95 21 21 und im Internet unter www.karl-may-spiele.de reserviert werden. C. Astrid Mohné, Multi-Culti-Press