Mit Schminkpalette und Pinsel zur Goldmedaille
von Heidi Jerratsch, 23.06.2015
Sich selbst schminken und plötzlich wirken die Lippen schmaler oder die Augen kleiner. Zum Glück gibt’s dafür Profis – und die haben sogar einen eigenen, internationalen Wettbewerb in São Paulo.
Make-up auftragen, das kann doch jeder. Zumindest versuchen es täglich etliche Frauen und Mädchen an jedem erdenklichen Ort. Ob nun Zuhause, im Restaurant, auf der Arbeit oder mit Hilfe des Rückspiegels im Auto auf dem Weg zum nächsten Date; geschminkt wird, was das Zeug hält. Dass man beim Auftragen und Zeichnen einzelner Gesichtspartien aber eine Menge falsch machen kann, ist beim Routinekunstwerk am eigenen Gesicht nur den wenigsten bewusst.
Plötzlich wirken die Lippen schmaler, die Augen kleiner, die Nase dicker, oder man verwandelt gar den erzielten verführerischen Blick in einen schiefen. Ganz sicher in ihrem Handwerk sind dagegen natürlich die Profis, Kosmetikerinnen, die jeden Pinselstrich von der Pike auf lernen. Leonie König (19) aus Gießen und Vanessa Rock (18) aus Düsseldorf sind derzeit im zweiten und dritten Ausbildungsjahr und beherrschen ihr Handwerk so gut, dass sie nicht nur an Wettbewerben teilnehmen, sondern auch bei den letzten “world skills germany”, den 1. und 3. Platz belegt und sich damit für die diesjährigen “world skills” in São Paulo (Brasilien) qualifiziert haben.
Die “world skills” sind ein Berufswettbewerb, der mittlerweile zum 43. Mal stattfindet. Fünf Tage lang werden 1200 Teilnehmer aus über 50 verschiedenen Ländern in der größten Stadt Brasiliens um die Goldmedaillen in ihren Disziplinen kämpfen. Für die beiden Mädchen ein großes Event, für deren Trainerin, Brigitte Ratzke, Leiterin der Hair & Make-up Company in Hamburg, schon so etwas wie ein Heimspiel. Das zweite Mal ist sie nun sowohl als Trainerin als auch als Jurymitglied an den “world skills” beteiligt und möchte dieses Jahr erneut mit ihren talentierten Mädchen Ihre Kunst an Kopf und Körper in São Paulo unter Beweis stellen. Die Richtlinien der “world skills” sollen für jeden Teilnehmer von Anfang bis Ende gleich sein. Ob das Material, welches nur von einer Firma gestellt wird, die Modelle, die für die Massage, die Gesichtsreinigung, das Waxing, die Pedi- und Maniküre ausgewählt werden, müssen dieselben Bedingungen erfüllen, damit jeder die gleichen Chancen erhält. Ob nun extrem haarig oder nicht, Leonie und Vanessa wollen auf alles vorbereitet sein, geübt wird deshalb für den Extremfall schon Monate zuvor.
Aus Gießen und Düsseldorf angereist, bekommen die Mädchen an fünf Wochenenden vor den Wettbewerben von Brigitte Ratzke den letzten Schliff. Bei diesem intensiven Training gibt es außer pauken, massieren, cremen und schminken am Tag nur eine Mittagspause. Vanessa, die Drittplatzierte sitzt für Leonie, die Erstplatzierte und eigentliche Teilnehmerin in São Paulo Modell. Beim Make-up wird zwar viel aufgetragen, zu dick allerdings nie. Hinter dem für Laien bekanntem „Schminken“ versteckt sich ein ausgeklügeltes Vorgehen. Welche Farbe hat der Teint, wie stehen die Augen zum Nasenflügel und wie dieser zum Mundwinkel – all das bestimmt, wie die Augenbrauen gezupft, gezeichnet, wie das Rouge aufgetragen und welche Foundation gewählt wird. Was dann aus einem nahezu perfekt aussehenden Gesicht noch herauszuholen ist, zeigen Leonie und Vanessa beim Training.
Nach 15 Minuten Augenbrauen, 15 Minuten Grundierung und 15 Minuten Rouge ist das Tages Make-up der Marke geschminkt sein, jedoch ungeschminkt aussehen, fertig. Trainerin Brigitte Ratzke betrachtet kritisch jeden Pinselstrich von Leonie. Zunächst aus der Ferne, dann aus Lupen-Nähe. „ Sind die jetzt wirklich identisch“, fragt Brigitte Ratzke Leonie, als diese gerade mit den Augenbrauen zeichnen fertig geworden ist. Etwa 20 Sekunden verharrt Leonie mit gezieltem Blick vor dem Modell: “Ah, die linke ist ein Stück zu tief im Bogen.“ Hier handelt es sich ganz klar um Millimeterarbeit. „Das ist übrigens die richtige Herausforderung beim Wettbewerb,“ erzählt Brigitte Ratzke. „Alle die dort antreten werden, sind sehr gut, schließlich sind sie Erstplatzierte, deshalb kann es einfach nur noch um Feinheiten und damit um die Perfektion gehen.“
Der scheinbare Druck lässt die Mädchen, die beim Wettbewerb ein Alter von 22 Jahren nicht überschreiten dürfen, ganz gelassen. Sie vertrauen auf ihr Können und auf die Feinheiten, die Brigitte Ratzke ihnen in den Tagen vor dem Wettbewerb noch zeigen wird. Die Expertin ist dagegen schon ein wenig aufgeregt, der erste Platz ist heißbegehrt, Diskussionen innerhalb der Jury wird es geben, darin konnte sie schon Erfahrung sammeln. Es zeigt, dass jeder Teilnehmer mit Herzblut dabei ist und nichts anderes anstrebt, als den Sieg. „Go for Gold“ ist das Motto von Make-up Profi Ratzke, „ein anderes Ziel gibt es nicht“.