Ein Auto pro Minute: Helfen in den Messehallen Hamburg
von Julia Henchen, 12.10.2015
Es ist Mittwochmorgen und ich mache mich auf den Weg in die Messehallen in Hamburg. Anfangs fuhr hier pro Minute ein Auto vor, um Spenden abzugeben…
Die Messehallen sind seit einigen Wochen Anlaufstelle für Kleiderspenden und jede Menge Helfer, um diese Spenden zu koordinieren. Und heute also auch ich.
Der Weg von der U-Bahn Station bis hin zum Epizentrum der Solidarität, wie Spiegel TV die Messehallen beschrieb, ist kurz. Gegenüber der JVA am Eingang stehen zwei Security, die vor allem den ankommenden Autos den Weg weisen. Auch ich durchquere das Tor.
Hier in den Messehallen überblickt Moritz Heisler, der Logistikchef, das Chaos. Und diesen Überblick zu behalten, war vor allem am Anfang wichtig. Denn zu Beginn fuhr hier pro Minute ein Auto vor, um Spenden abzugeben. So Heisler zu Spiegel TV.
Neben den Messehallen leben seit August 2015 auch Flüchtlinge. Hier ist Platz für rund 1.000 Menschen. Sie bekommen von den freiwilligen Helfern in den Messehallen ein Startpaket mit Kleidung, Schuhen, Hygieneartikeln und, wenn sie möchten, einen Koffer für die Weiterreise.
Und genau vor dieser Halle stehe nun ich. Um mich herum gibt es jede Menge Tische, auf denen Kleidung liegt und von unzähligen Menschen sortiert wird. Später erfahre ich, dass hier vorsortiert wird. Sofort bemerke ich, wie unterschiedlich die Helfer sind und fühle mich direkt willkommen und schreibe auf ein Stück Paketband meinen Namen. Danach begrüßt mich Anna. “Schön, dass du da bist.”
Nachdem mir Anna die Halle beschrieben hat, suche ich nach Thomas, der laut Anna eine rote Mütze trägt. Thomas schickt mich weiter zu Tanja, denn bei den Kinderklamotten wird momentan Hilfe benötigt. Also berichtet mir Tanja nun, wie das in den Messehallen abläuft.
“Ganz einfach”, erklärt Tanja, nimmt sich einen Karton von dem Tisch, der bis oben hin mit Klamotten voll ist und sagt: “Du nimmst dir hier eine Kiste, in der die Klamotten sind, die vor der Halle schon nach Größen vorsortiert wurden”. Ich kann kaum Schritt halten mit Tanja, denn schon läuft sie los und steht in Mitten von noch mehr Kartons und zeigt auf den Boden. “Danach suchst du in jedem Abschnitt, also hier bei den Kinderklamotten Kisten für die unterschiedlichen Größen. Vorne steht drauf, was drin ist. Also zum Beispiel hier Pullis oder Hosen”. Tanja, die ungefähr 55 Jahre alt ist, sieht mich mit einem Lächeln fragend an. Ich nicke: “Kapiert”. Ok. Also irgendwie war das gelogen. Wo muss ich nochmal meinen Karton holen und wo stelle ich ihn dann ab? Bevor ich Tanja fragen kann, ist sie schon wieder verschwunden. Also nehme ich mir eine Kiste voller Kleidern und versuche mein Glück.
Nach einigen Minuten Anlaufschwierigkeiten bemerke ich – gar nicht so schwierig. Kleiderkarton vom großen Tisch nehmen, einsortieren nach Größe und Kleidungsstück mit Karton zurück und einen Neuen holen. Langsam bekomme ich Routine. Gut, denn in diesem Moment entert eine Schulklasse die Kinderabteilung in den Messehallen. Luisa und Jana stehen nun neben mir und sortieren Kinderhosen. Die beiden lernen normalerweise an der Waldorfschule. Sie konnten sich aussuchen, ob sie arbeiten um zu spenden oder direkt helfen wollen. Sie entscheiden sich für die zweite Variante.
Der Kleiderberg ist scheinbar unendlich und die Arbeit endlos. Immer wieder kommen neue Klamotten zum Eingang der Halle um daraufhin in meinen Händen zu landen. Mehr als 60% der Deutschen glauben, dass Deutschland die Flüchtlinge gut verkraften könne. Hier in der Halle spüre ich das Mitgefühl und die Dankbarkeit durch jedes Kleidungsstück.
Ich verlasse die beiden Mädchen der 9. Klasse und lerne Rainer kennen. Rainer braucht Hilfe, um die ganzen Kleidungsstücke zu zählen. Rainer gibt mir einen Karton in die Hand, einen von denen, die ich gerade noch einsortiert habe.
“Also eigentlich brauchst du nur die Klamotten rausnehmen, zählen, vorne auf die Kiste die Zahl schreiben und dann hier abstellen”. Er zeigt dabei auf einen Wagen, auf dem schon drei volle Kartons auf den Abtransport warten. Wieder nicke ich. Diesmal habe ich es aber sofort verstanden. Irgendwie kennt man das jetzt auch.
“Kleiner Tipp unter Neuen. Mach 10er Stapel. Dann kannst du sie besser zählen und wenn dich jemand unterbricht, musst du nicht von vorne beginnen”.
Diesmal lache ich. Ich bin Rainer, der um die 71 Jahre sein könnte, sehr dankbar, denn alle paar Minuten möchte jemand von mir wissen, wo denn die Schneehosen für die Kinder hinkommen. Da ich mich hier mittlerweile wie zu Hause fühle, weiß ich natürlich, dass die Schneehosen und Winterjacken hinten links gelagert werden. Außerdem habe ich festgestellt, dass dünne Hosen für diese Jahreszeit besser zu den Schlafanzügen sortiert werden sollten. Diesen Tipp gebe ich direkt an Johanna weiter, die schon öfter hier geholfen hat. Viele Studenten und Rentner treffe ich hier an. Einige müssen noch zur Arbeit oder kommen von dort. Viele kommen, weil sie eben Zeit haben oder sich diese nehmen.
Thomas kommt zu unserer Station und bittet kurz um Ruhe. Er müsse jetzt los, bei Fragen sollen wir uns an Tanja wenden. Aber das Wichtigste sei sowie, dass jeder der geht, sich vorne abmeldet, dafür wird jemand Neues geschickt. Demjenigen erklärt man dann einfach, was man hier gemacht hat.
Klingt logisch, denn so kam vielleicht auch Rainer an seinen Tipp, denke ich mir. Ich staple weiter die Kinderklamotten. Diesmal Babystrampler. Und von winzigen Strampeler passen auch jede Menge in meinen Karton. Das teile ich Rainer mit. Der grinst nur und meint “Über 200 Stücke kommst du trotzdem nicht”. Kennerblick? Er hat Recht. Es sind 84 Babystrampler. Er hatte einmal über 200 Klamotten in einer Kiste. Aber so etwas ist selten. Rainer und ich verstehen uns und so fahre ich den schweren Wagen mit den zwölf Kartons zur nächsten Station in den Messehallen.
Bei Tim und Laura werden jetzt nämlich die vollen Klamottenkisten in ein System eingetragen. Danach werden sie auf Paletten gestapelt, einfoliert und warten dann auf den LKW, der sie in Hamburg zu einer der Anlaufstellen für Flüchtlinge bringt.
“Zu Beginn waren die Spenden nur für die Messehalle. Mittlerweile können alle 16.000 Menschen in Hamburg von der Kleiderkammer in den Messehallen profitieren”, erklärt mir Tim, während er die Zahlen, die ich vor drei Minuten noch auf den Karton kritzelte in den PC vor sich eintippt. Laura hilft mir dabei, die Kartons auf die Paletten zu hieven. Wow. Denke ich mir.
Der Blick auf die Uhr sagt mir, dass auch ich nun wieder los muss. Zwei Stunden sind vergangen wie im Fluge. Ich melde mich vorne ab und schon steht Gerlinde vor mir, die mich ablöst. Ich erkläre ihr, dass sie am besten immer in 10er Schritten Klamotten auf den Tisch legt. Sie nickt und scheint das Prinzip verstanden zu haben. Ich verabschiede mich von Rainer “Vielleicht bis morgen”.
Beim Verlassen der Halle nehme ich mein Namensschild und klebe es an die Tür zu den gefühlt tausend anderen Schildern. Dieses Gefühl macht mich gerade sehr glücklich.
*Namen von der Redaktion geändert