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Hairzlich unterschätzt – über das Handwerk des Schneidens

Ilona Meyer bei ihrer Leidenschaft; Foto: Kolumne Hamburg

von Kevin M., 18.12.2018

Inmitten des tristen, traurigen Ghettos Mettenhof zwischen farblosen Hochhäusern, erstreckt sich ein modernes Einkaufszentrum. Ein Kontrast zwischen Hoffnungslosigkeit und gierigem Kapitalismus? Als hätte man einen schimmligen Müllsack mit einer Rose versehen, um so zu tun als würde man sich für die Müllmänner einsetzen. Ilona Meyer unberührt von dieser, für sie gewohnten Umgebung, öffnet mit verschlafenen Augen und den letzten Fetzen ihres Traumes der vergangenen Nacht ihren Friseursalon.

Der Schlüssel ziert einen Anhänger in Form eines Lockenwicklers. Die Tür geht auf und eine künstliche, geföhnte Luft verbirgt sich dahinter. Gerüche von frisch gewaschenen Haaren und Stylingprodukten sind die letzten Spuren gestriger Arbeit. Noch schnell das Frühstück inhalieren und dann kann es losgehen, denn die ersten Kunden warten schon.

Was auch lange in dieser Branche auf sich warten lies, war der Mindestlohn. Erst 2013 einigten sich die Gewerkschaft ver.di, die Tarifgemeinschaft des Zentralverbandes des deutschen Friseurhandwerks und die Landesinnungsverbände in Würzburg auf einen bundesweiten Mindestlohn. Anfangs lag dieser noch bei 6,50 Euro im Osten und 7,50 Euro im Westen Deutschlands. Heute ist er in Schleswig-Holstein auf 9,50 Euro bis 15 Euro angestiegen, je nachdem welche Entgeltgruppe vorliegt. Das sorgt dafür das die Ausbildung in diesem Handwerk wieder stark an Attraktivität gewinnt. „Dadurch bekommen wir auch Realschüler und junge Leute, die Bock auf den Beruf haben, und sich nicht bewerben weil sie sonst nirgendwo genommen werden. Wir stellen zwar durch die erhöhten Kosten weniger Azubis ein, aber dafür ist auch die Fluktuation geringer: Qualität vor Quantität.“ Ein weiterer positiver Effekt ist die Steigerung der Kaufkraft, dies sorgt für mehr Konsum und mehr Arbeitsplätze durch die erhöhte Nachfrage. Güter und Gehälter werden versteuert und führen zu staatlichem Gewinn. Nicht zu vergessen die Entlastung durch die Ersparnisse der Sozialen Leistungen, die nicht mehr in Anspruch genommen werden müssen.

Doch es hat auch Nachteile wie eine 25 jährige Friseurin und Bloggerin namens Dani auf Gehalt.de berichtet. Einige Salons vermeiden es, die Preise anzupassen, da die Kunden sich an die Billigpreispolitik gewöhnt haben, und somit nicht bereit sind, mehr zu zahlen. Um aber trotzdem profitabel zu sein werden dann die Vorgaben lächerlich hochgesteckt. So müssen teilweise 20 Haarschnitte am Tag geschafft werden. „Das hat nicht mehr viel mit Handwerk zu tun. Das ist fast Fließbandarbeit und macht auch keinen Spaß mehr.“ Eine andere Strategie von Unternehmen um die Unkosten aufzufangen und gleichzeitig flexibel in der Planung zu sein, ist das Einstellen von Teilzeitkräften. Es wird immer schwieriger einen Vollzeitjob zu finden, weil diese einfach zu teuer geworden sind. Abschließend kommt es zum Ausbau der Bürokratie und verursacht damit Ausgaben für den Staat.

Weniger Bürokratie gibt es bei Ilona. Nur kurze Zeit nachdem der Laden geöffnet hat, haben sie und ihre beiden Mitarbeiter alle Hände voll zu tun und der nächste Kunde wartet bereits auf den gepolsterten, grünen Sitzmöbeln mit einem Lifestylemagazin in der Hand. “Morgens ist immer am meisten los“. So verwandelt sich der eben noch ruhige Laden in ein Gewitter von Geräuschen. Das Wasser plätschert, Magazine werden flüchtig durchgeblättert, der Fön schreit unerschöpflich, Klammern und Scheren klicken, die Rollen der Hocker schleifen schwerfällig über den Boden, Schneidemaschinen brummen und summen. Smalltalk und Anekdoten fliegen durch den Raum, die Musik die im Laden läuft ist inzwischen nicht mehr zu hören, nur ein dumpfer Bass der sich unter den Lärm legt. Die Hände reiben feucht aneinander, um Gel und Wachs aufzutragen, Sprühdosen zischen und die Kassen klingeln und scheppern.

Doch all das wird von Ilona inzwischen ausgeblendet, denn sie braucht als Leitung ihre Ohren bei allen Kunden, egal ob es ihre sind, die der Kollegen oder ob sie grade erst durch die Tür kommen. Liebevoll hakt sie sich bei einer alten Dame ein und bringt sie zum Waschbecken. Dort wird ihr ergrautes Haar in warmes Wasser getränkt, Shampoo aufgetragen und einmassiert. Nach der Prozedur wird alles sorgfältig in ein Handtuch eingewickelt und sich wieder eingehakt. Am Frisierplatz setzt sich Ilona auf ihren Hocker, rollt sich vor die Kundin, lächelt herzlich, authentisch und vertraut, stellt sich händeschüttelnd vor und fragt, was sie denn gutes Tun kann. Sofort wird sich an die Arbeit gemacht, elegant swingt sich Frau Meyer mithilfe des Drehstuhls um die Frisur, fast wie ein Tanz mit der Schere, währenddessen wird sich locker und privat unterhalten. „Es ist wichtig, gut mit seinen Kunden reden zu können, fast wichtiger als gut zu schneiden, denn wenn man gut schnacken kann und sich Sympathien entwickeln, wird einem ein schlechter Schnitt eher mal verziehen. Zudem gibt es viele, die mehr wegen der Unterhaltung bei uns sind.“ Die alte Dame betrachtet sich nun lächelnd im Spiegel und richtet behutsam ihre neue Frisur. Sie erhebt sich selbstbewusst aus ihrem Sitz und stolziert zur Kasse. Dabei schwingt ein Gefühl von Glück durch den Raum.

Doch die Menschen die jahrelang für dieses Gefühl sorgten, konnten es selbst aufgrund ihrer Reputation in der Gesellschaft nicht erleben. „Ich habe zur Manta Zeit angefangen und da wurde der Beruf ziemlich zerrissen. Es hieß dann immer-’Oh’ Friseurin dann hast du bestimmt auch einen Mantafahrer als Freund.“ Das Handwerk wurde oft ins Lächerliche gezogen und nicht wirklich wertgeschätzt. „Es wurde besser als unsere türkischen Kollegen das salonfein gemacht haben, denn sie haben ihren Job mit stolz gemacht und das hat sich auf die Kunden übertragen.“ Der Mindestlohn hat ebenfalls für ein höheres Ansehen gesorgt, nicht nur bei den Arbeitnehmern, sondern auch in der allgemeinen Bevölkerung. Dadurch das plötzlich Realschüler und motivierte Azubis in den Läden vertreten waren, wurde der Ruf wieder aufgebessert. Gleichzeitig gab es plötzlich Prominenz in diesem Berufszweig, wie zum Beispiel Udo Walz, der für ein besseres Image sorgte.

„Leider geht der Trend wieder in die andere Richtung, denn durch die ganzen YouTube-Videos machen sich alle zu Experten und haben utopische Vorstellungen. Wenn diese nicht umgesetzt werden, ist natürlich der Friseur Schuld. Viele denken dadurch: was wir machen kann jeder”, erzählte sie mit Enttäuschung in ihren Augen.

Kurz bevor die Routine eintrifft, steht die Ilona  der nächsten Herausforderung gegenüber: Ein kleiner, quengelnder Junge braucht seinen ersten Haarschnitt. Kein Umhang, kein Kamm soll an das müde Kind heran. Er sträubt und windet sich auf dem Schoß seiner Mutter. Mit viel BeHAARlichkeit und ständigem auf ihn einreden, legt er den Kopf auf die Ablage vor sich. Nun kann endlich gekämmt und geschnitten werden, doch die Geduld eines Kindes ist begrenzt wie das Trinkgeld eines enttäuschten Kunden. Doch Ilona bleibt ruhig und freundlich. Die Mutter redet weiter auf ihn ein und in einem kurzen Moment der Stille führt die Friseurmeisterin ihre Arbeit in doppelter Geschwindigkeit durch, aber mit gleichbleibender Präzision. Geschafft! Er hat seinen persönlichen Horror überlebt und seinen ersten Haarschnitt hinter sich, wahrscheinlich wünscht er sich, dass dies auch sein letzter war. Am Ende bekommt er noch eine Urkunde mit seinen abgeschnittenen Haaren. Er ist heute wohl der Einzige, der den Besuch nicht genossen hat.

Wie jeden Abend rechnet Ilona die Kasse ab. Auf ihrem Gesicht ist noch immer ein Lächeln zu sehen und sie strahlt unglaubliche Ruhe aus. Das Wohl ihrer Kunden liegt ihr sehr am Herzen: „Am wichtigsten ist mir, dass die Kunden glücklich sind und eine gute Zeit bei uns haben. Ein Besuch bei uns soll wie ein kleiner Urlaub sein, eine Auszeit vom Alltagsstress.“ Mit diesen Worten schließt sie zufrieden ihr Fahrradschloss auf und schwingt sich aufs Rad. Der Schleier der Dunkelheit arbeitet penibel wie ein Schönheitschirurg und sorgt dafür, dass aus dem Ghetto von heute Morgen ein Ort der Nachtromantik wird.