Filmkritik: Beach Boys – Love & Mercy
von Redaktion, 01.06.2015
Große Hits, gigantische Ideen, gnadenloser Druck von außen wie von innen – die beeindruckende Geschichte von Brian Wilson, dem musikalischen Genie der Beach Boys.
Wir befinden uns im sonnigen Kalifornien der 60er Jahre mit einer Horde unterschiedlichster Musiker im Tonstudio. Wir sehen, wie der Kopf der Band, Brian Wilson, mit seinen Kollegen an dem neuen Beach Boys Album arbeitet: Mal solo, mal in der Gruppe. Erst ganz klassisch mit Konzertstreichern, dann wieder gewohnt im poppigen Surfer-Stil mit Keyboardern und Schlagzeug. Durchdrungen wird diese Szenerie von Sirenen, Hundegebell und Propellergeräuschen. Wir sind im siebten Kreativhimmel. Auf einmal fragt Brian in die Runde: „Äh, was denkt ihr. Kriegen wir ein Pferd hier ins Studio?“
So scherzhaft sie klingt, so ernsthaft dürfen wir seine Frage nehmen: Brian Wilson, angetrieben von einer höheren, musikalischen Vision für seine Band, befindet sich mitten in seinem Meisterwerk „Pet Sounds“ und ebenso in der schrägen, psychedelischen Deflationsspirale seines Geisteszustandes. Er ist einerseits begabt und erfolgreich wie die größten Künstler aller Zeiten, andererseits einsam und gefangen in einem Leben voll erdrückender Ansprüche durch die Außenwelt. Leidend unter dem steigenden Druck durch die eigenen, wachsenden, psychischen Probleme. Im Bann des scheinbar übermächtigen, perfektionistischen Vaters, dem er stets versucht gerecht zu werden und ihm gleichsam am liebsten entfliehen würde. Im ständigen Konflikt. Brian Wilson – schon früh auf der Suche nach der eigenen Identität. Das perfekte Opfer einer Karriere und all derer, die an ihr verdienen möchten…
Regisseur Bill Pohlad und die Autoren Michael A. Lerner und Oren Moverman lassen uns in LOVE & MERCY hinter die Kulissen des Gründers und Masterminds der Beach Boys schauen. Sie bringen uns das musikalische Genie als echten Menschen und legendären Musiker gleichermaßen näher, steigen tief in seine Gefühlswelten ein und zeigen uns ebenso tragisch wie komisch das wahre Leben des Brian Wilson. Dabei lösen sie sich galant vom klassischen Biopic-Weg, wie wir ihn von Dokumentationen über Musiker üblicherweise erwarten. Denn statt einer chronologischen Nacherzählung der Geschichte unseres Protagonisten zeichnen sie in zwei Erzählsträngen die beiden charakteristischsten Phasen von Wilsons Leben nach: Aus seiner eigenen Perspektive und die seiner Umwelt, erleben wir den jungen Brian in den 60er Jahren (Paul Dano), während der Hochzeit seiner schöpferischen Leistung und dem Beginn seines Kampfes gegen die psychische Erkrankung. Im Wechsel dazu erleben wir aus Sicht der Autoverkäuferin und seiner späteren Ehefrau Melinda Ledbetter (Elizabeth Banks) den erwachsenen Brian Wilson der 80er und 90er Jahre (John Cusack). Im Schatten seiner eigenen wirren Gedanken lebend und durch die Repression des Scharlatans Dr. Eugene Landy (Paul Giamatti) geistig und körperlich beeinträchtigt, findet Wilson mit Hilfe von Melinda zurück zu sich selbst – und damit zurück ins Leben. Pohlad, Lemer und Moverman führen uns durch einen Film voller Ruhm und Glück, Tragik und Trauer sowie Liebe und Erbarmen. Sie lassen uns mitfühlen, aber auch unerwartet viel mitlachen.
Die beeindruckende Biografie des ehemaligen Beach Boys liefert den Stoff für ein tragisch-komisches Drama. Die künstlerische Erzählweise des Regisseurs und der Autoren, gestützt durch eine gelungene Kameraführung und Filmoptik zieht den Zuschauer trotz zum Teil langatmiger Szenen in den Bann. Das schauspielerische Können der sorgfältig ausgewählten Rollenbesetzung macht die Geschichte schließlich zu LOVE & MERCY – einem interessanten, absolut sehenswerten Musikfilm. Nicht nur eine Empfehlung für alle Beach Boys Fans!
Filmstart: 11. Juni 2015