Affordable Art Fair – Kunst für Jedermann?
von Kevin M., 16.11.2018
Der Geruch von Holz, Farbe und Kaffee verführt die Nase. Gemurmel schleicht durch die Gänge und metallische Geräusche explodieren durch die Hallen der Hamburger Messe. Ein modernes weißes Labyrinth geschmückt mit Malereien, Skulpturen und Fotos, entführt Besucher der Affordable Art Fair aus dem Alltag in ein Erlebnis zeitgenössischer Werke. Diese Ausstellung soll nicht nur dazu dienen, jungen talentierten Künstler den Übergang vom Studium in den Kunstmarkt zu erleichtern, sondern es auch Neulingen unter den Besuchern einfacher machen, sich für die Kunstwelt zu öffnen. Die Messe ist also ein Treffpunkt für Laien und Experten gleichermaßen. Doch stimmt das auch?
Affordable Art Fair – Kunst für alle ist das umfassende Konzept der 5000 Quadratmeter großen Messe, die in den letzten sieben Jahren über 100.000 Sammler, Erstkäufer und Kunstinteressierte hervorgebracht hat. 80 Galerien aus vier Kontinenten und 15 Metropolen sind involviert. Zwölf davon aus Hamburg, ein Bereich der Ausstellung wird von Absolventen der Hochschule für bildende Künste Hamburg (HfbK), die unter dem Namen “Emerging Artists” zusammengefasst ist, gestaltet. Diese stellen ihre interessanten Werke unter dem gemeinsamen Thema “Zeichensysteme” aus.
Am längsten stehe ich vor einem abstrakten Werk mit dem Titel “Nature Red Blue 18″, dass mithilfe von Mischtechnik angefertigt wurde. Petra Rös-Nickel aus der Galerie Jaeschke ist die Künstlerin. Kostenpunkt: 3.900 Euro. Erst scheinen die Farben fast willkürlich aufgetragen. Bei mir herrscht Überforderung, ich versuche das große Ganze zu greifen. Dann jedoch werden die Farben lebendig und wirken als bewegen sie sich. Wie der Beginn einer Geschichte. Sie ziehen mich in ihren Bann und bringen mich an einen anderen idyllischen Ort, umgeben von der Natur. Das Grün wird zu einer sonnigen Wiese in einer Lichtung inmitten eines einsamen Waldes. Das Rot geht in den schönsten und wärmsten Sonnenuntergang über und das Gelb trägt mich in die heiße, trockene Wüste. Der feinkörnige Sand ist förmlich zwischen den Zehen zu spüren. Das Blau verwandelt sich in den tiefen, weiten Ozean. Man fühlt den Küstenwind und hört die Möwen. Und plötzlich steh ich wieder in der Messe. Für einen kurzen Moment hat das Werk mich auf eine wundervolle Reise in die Natur mitgenommen.
Von der Natur geht es in die Popkultur mit einem faszinierendem Bild des Spaniers Antonio de Felipe, der auf Instagram, Facebook und seiner Website erreichbar ist. Er studierte von 1985 bis 1990 an der Hochschule der Bildenden Künste in San Carlos, Valencia. Seine Schöpfung zeigt ein fröhliches, fast schon gelb leuchtendes Pikachu, das geschickt zu einem Plastikmüllsack verfremdet wurde. Der Hintergrund ist trist und rückt so das wohl bekannteste Pokémon in den Fokus. Was der Künstler damit ausdrücken will? Möglicherweise geht es um die eigenen Traditionen, die in den trostlosen Hintergrund geschoben werden, während wir uns mit fremden kulturellen Einflüssen zumüllen. Ob er darauf anspielt, kann ich nicht genau sagen, aber das schöne an Kunst ist ja, dass es mehrere Interpretationen gibt.
Nicht nur die Werke, auch deren Repräsentanten sind äußerst interessant und grundverschieden. Hier trifft man auf einen Herren im eleganten, perfekt sitzenden Anzug. Die ergrauten Haare stilvoll nach hinten gelegt. Auf seiner Nase ruht eine kleine Brille mit runden Gläsern und das Revers schmückt eine weiße Blüte. Seine Lederschuhe im Oxfordschnitt vollenden den Anblick des wortkargen, aber dennoch eloquenten Galeristen. Nur ein paar Schritte weiter wartet das komplette Gegenteil: der, so denkt man, „typische“ Künstler mit Pferdeschwanz, Drei-Tage-Bart, dürrer Statur, ein sensibles, herzliches Lächeln und gekleidet in einem braunen Pulli, kombiniert mit einer Hose in fast gleicher Farbe. Abgerundet mit ausgelatschten Hausschuhen, als wolle er sagen: „Wer sich schick anzieht, lenkt nur von seiner Kunst ab.“
Ohne Ablenkung nehme ich auch die Exemplare von Edvardas Racevicius sehr intensiv wahr. Er ist 1974 in Litauen geboren und hat seine Schaffenskraft in die Bildhauerei gesteckt und veröffentlicht unter anderem über die Galerie Peters Barenbrock Ahrenshoop, die auch bei Instagram aktiv ist. Sein Werk über die innere Zerrissenheit des Menschen wirkt zerbrechlich, grob und stabil zugleich. Es ist die Holzfigur eines Mannes. Aus der Mitte seines Körpers sprießen unzählige feine Holzspäne. Irgendwie melancholisch, auf undefinierbare Art religiös und ein bisschen zu real. Wo doch Menschen auf dieser Welt am Konflikt zwischen ihren Wünschen und der Wirklichkeit „zerplatzen“.
Tiefer einsteigen kann der Besucher im Collectors Talk. Dort sprechen Experten über das Sammeln, das “Warum”, die Qualität und die Faszination an sich. Zudem werden täglich um 15 Uhr und 17 Uhr kostenlose Führungen angeboten. Wer nun selbst kreativ werden möchte, kann an Siebdruckworkshops teilnehmen. Auch Kinder sind herzlich willkommen. Im Kids Space wird den Kleinen (von zwei bis zehn Jahren) Kunst spielerisch näher gebracht. Mit Freude und Leidenschaft führen die Galeristen die Besucher an jedes ihrer Ausstellungsstücke heran. Der am häufigsten zu hörende Satz und damit auch die beste Methode um Kunst wahrzunehmen ist: „Betrachten Sie das Objekt in Ruhe und nehmen Sie sich Zeit, es auf sich wirken zu lassen“.
Dies ist nur eine kleine Auswahl der fantastischen Arbeiten. Um die Anfangsfrage zu beantworten: Ja! Die Messe ist für Experten und Laien geeignet. Auch an Familien wird gedacht. Wichtig ist, sich Zeit zu nehmen und sich darauf einzulassen. So kann man die Kunst am Besten genießen. Wertschätzen statt Wert schätzen! Wer sich selbst davon überzeugen möchte, kann noch bis Sonntag, 18.11.18 18 Uhr vorbeischauen.