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Die Schanze. Endlich erwachsen.

Schanzenviertel, Rote Flora, Hamburg, Kulturzentrum

von #ahh, 24.07.2018

Seit jeher Schmelztiegel der Kulturen, ist die Schanze erst jüngst erwachsen geworden. Lange Zeit hatte sie etwas Altona viel St. Pauli und eine Priese Eimsbüttel im Blut. Doch endlich ist sie eigenständig oder richtiger: Das Schanzenviertel ist ein eigener Stadtteil.


Das Gebiet war lange Zeit kaum mehr als ein modriges Land, das Dörfer voneinander trennte und sogar gut als Landesgrenze taugte. Wir befinden uns im 17. Jahrhundert. Um den möglichen Eindringlichen, in diesem Fall starke Dänen aus dem großen dänischen Reich, ganz deutlich zu machen, das hier nichts für sie zu holen war, baute man einen Verteidigungswall. Weil der anfänglich provisorische Erdwall (Etymologen mögen sich dem Wort „Reisigbündel“ widmen) Sternförmig gebaut wurde, war schnell von der Sternschanze die Rede; und das sollte auch die folgenden Jahrhunderte so bleiben.

Kaum 200 Jahre später wurde das Moor trocken gelegt und die Wallanlagen eingeebnet. Trotzendem blieb die vereinigende Kraft erhalten. Denn das Schanzenviertel bildete die Verbindung zwischen Hafen und dem benachbarten Eimsbüttel. Täglich passierten hunderte Arbeiter auf der Landstraße die Schanze und nicht wenige blieben hier und da auf ein Getränk und verweilten. Einige erzählen die Geschichte einer Kneipe, die einen Wahlknochen als Aushängeschild verwendete. Sie erzählen weiter, dass die Straße im Volksmund einen Namen bekam. Heute nennen wir sie immer noch – Schulterblatt.

Auf dem Schulterblatt unterwegs streift man unweigerlich das kulturelle Zentrum des Schanzenviertels: die Rote Flora. Sinnbild linker Wollust und Zentrum politisch, linken Kernlandes. Diese weltbekannte Kontroverse ist regelmäßig Schauplatz eines stilisierten Gerangels zwischen Obrigkeit und provoziertem Volk. Zu dieser Zeit ist die Schanze ein kochender, lavaspeiender Vulkan. Austoben oder Ansichten durchsetzen geht anders. Kehrt man später wieder zurück, geht es hier in der Regel emsig zu. Das Leben der Anwohner scheint auf der Straße stattzufinden.

Wie an vielen Flecken Hamburgs befindet sich heute auch hier der Immobilienmarkt in einer Überbewertung. Diese Immobilienblase übt erheblichen Druck auf die Bewohner des Stadtteils aus. Die Gentrifizierung ist im vollen Gang. Dann werden Umsatzineffektive Bauten abgerissen und optimiert  ersetzt. Und so geht auch hier Lebensqualität und über Jahrzehnte entstandene Strukturen verloren – bisher lassen sich viele Bewohner das nicht anmerken und begehen ihre Abende lässig.

Die neueste Geschichtsschreibung des Schanzenviertels ist wieder einmal aus der Bevölkerung entstanden. Wenn Hamburg schon lange in die Schanze fährt, musste es ja irgendwann passieren, dass es nicht mehr nur um ein Gebiet geht, sondern verwaltungsrechtlich korrekt um einen Stadtteil. Endlich groß, endlich frei, endlich die Welt mit offenen Armen empfangen. Flaniert man abends durch die Straßen der Schanze, kommt  ein wenig das Gefühl von gediegener Freiheit auf. Diese losgelöste Weltoffenheit findet ihren Ausdruck in multikulturellen Gruppen. Es entstehen neue Bekanntschaften und neue Blickwinkel in unerwarteten Gesprächen.

Wenn also das Abendrot längst hinter einem Haus verschwunden ist und sich der Tag dem Ende neigt, war das Schanzenviertel wahrscheinlich wieder Schauplatz für Begegnungen, sind sich Menschen näher gekommen. Wie das eben so ist, wenn man als klebriges Bindeglied im Herzen der Hamburger fungiert. Das Schanzenviertel ist wirklich groß geworden.