Gloria Van Krimpen – eine Künstlerin im Interview

von Samya Alvarez, 05.07.2019
Relativ locker, sehr lebhaft und eher antiauthoritär. Diese Frau hat Wumms und sie weiß genau was sie tut. In ihrer Arbeit mit Kindern macht sie die Welt ein kleines Stückchen besser, Woche für Woche. Ich habe mich mit ihr getroffen.
Wenn sie über ihre Kinder redet, hebt sie leicht die Stimme an. Sie rutscht dann in dieses typische Sprachmuster, welches man benutzt, wenn man kleine Menschen direkt anspricht. Dafür muss nicht mal ein Kind in der Nähe sein. Dann zieht sie ihre Augenbrauen etwas hoch. Die Lachfältchen, die dann um ihre hellblauen Augen stärker werden, verraten wie gern sie über ihre Kinder spricht.
Gloria Van Krimpen ist Künstlerin in der Lichtwarkschule, eine gemeinnützige Initiative zur künstlerischen Förderung von Kindern in den Brennpunkten Hamburgs. „Starke Kinder durch Kunst“ ist ihr Motto.
In Glorias Klassenraum dürfen Kinder malen, gestalten und basteln. Komplett ohne Wertung und Noten. Sie betreut verschiedene „Farbmäuse“-Kurse, gefüllt mit Fünf- bis Sechsjährigen. Es ist ihr wichtig, dass die Schüler nicht bewertet werden, damit die Angst vor`m weißen Blatt Papier gar nicht erst entsteht. Der Schwerpunkt von Glorias Arbeit liegt bei den Materialien. Wie fühlt es sich an mit den Fingern auf Papier zu malen? Wie sieht es mit Kleister aus? Das Gefühl ist anders, wenn man Sand in den Kleister mischt. Die Kinder sollen an Möglichkeiten und Größe gewinnen. Sie sollen ihre Fähigkeiten austesten und herausfinden, was alles machbar ist.
Ich habe mich in einem Café mit Gloria getroffen und über ihre Arbeit interviewt.
Samya: Du bist eine der festangestellten Künstler bei der Lichtwarkschule. Welche Ausbildung hast du in diesem Bereich absolviert?
Gloria: Ich habe eine Pädagogische Ausbildung hinter mir. Das ist natürlich wichtig. Seit 22 Jahren arbeite ich mit Kindern.
Samya: Wie lange arbeitest du bei der Lichtwarkschule?
Gloria: Zehn Jahre.
Samya: Nicht schlecht!
Gloria: (Sie nickt) Ich bin in Rotterdam aufgewachsen. Sehr multikulti und ich finde das hilft bei meiner Arbeit enorm. Ich hab mit 16 Jahren meine Ausbildung zur Erzieherin gemacht, habe auch zwischenzeitlich in Singapur mit Kindern gearbeitet. Ich habe zusätzlich sieben Jahre eine Kunstschule besucht. Irgendwann ist mein Fokus dann von reiner Pädagogik auf Kunst gedriftet und jetzt bin ich bei der Lichtwark gelandet und leite jetzt den „Farbmäuse“-Kurs.
Samya: Wie sieht so ein Kurs aus?
Gloria: Meine Kinder sind im Vorschulalter, ungefähr fünf bis sechs Jahre alt. Im Rahmen des Vormittages verbringe ich dann einmal die Woche 60 Minuten mit einer Gruppe. Wir teilen die Klasse, in der wir arbeiten, dann in zwei Gruppen, damit wir näher an den Kindern arbeiten können. Das sind ungefähr acht Kinder auf einmal.
Samya: Wer ist wir?
Gloria: Ein freiwilliger Helfer und meine Wenigkeit. Ich habe immer mindestens eine Person, die sich ein Schuljahr verpflichtet und mir unter die Arme greift. Da ist es wichtig, dass dieser Mensch auch das ganze Schuljahr da bleibt, um die Kinder nicht zu irritieren. Die Kinder werden natürlich anhänglich und gewöhnen sich an ihre Lehrer.
Ja, dann steht einmal pro Halbjahr ein Museumsbesuch an und zweimal im Jahr wird die Kunst der Schüler im Stadtteil ausgestellt. Dazu kommt ein Kinderfest im Völkerkundemuseum.
Samya: Ist das dann Unterricht, wie wir ihn aus der Schule kennen? Geht es darum hauptsächlich Wissen zu vermitteln, mit Noten und Tests?
Gloria: Auf gar keinen Fall! Natürlich vermitteln wir Wissen, aber es ist mir extrem wichtig, dass kein Leistungsdruck da ist. Jeder Mensch denkt anders, da ist das Outcome ganz unterschiedlich. Die Entwicklungsstände sind ja auch völlig verschieden. Wir bewerten die Arbeiten nicht. Es gibt ein an die Kinder angelehntes Thema, zum Beispiel Jahreszeiten. Viele wissen gar nicht, dass Blumen aus Samen wachsen. Oder was den Frühling vom Winter unterscheidet.
Was manchmal auch schwierig ist, das denkt man so gar nicht, ist Papier reißen. Wenn wir zum Beispiel etwas kleistern wollen. Die motorischen Fähigkeiten sind durch Fernsehen und Co. nicht ausgebildet genug. Vielleicht mögen die Kinder vom Kopf total weit sein, aber die Basis fehlt um selbst kreativ etwas zu erschaffen. Das üben die dann im Kurs.
Samya: Existiert so etwas wie ein Lehrplan an der Lichtwark?
Gloria: Ein Oberthema. Aber das schätze ich an der Lichtwark so sehr, jeder Künstler hat die Freiheit selbst zu entscheiden, wie er oder sie arbeitet.
Samya: Wie arbeitest du am liebsten?
Gloria: Mein Schwerpunkt liegt bei den Materialien. Privat arbeite ich viel an Collagen und so arbeite ich auch am liebsten mit den Kindern. Wir erschaffen Blumencollagen mit Wachs- und Wasserfarbe, Wolle und Papier-Schnipseln. Das Sinnliche ist mir wichtig. Wie fühlt es sich an mit dem Pinsel über ein Papier zu streichen? Ist die Sensation anders, wenn wir Kleister benutzen? Was passiert, wenn wir den Kleister mit Sand vermischen?
Samya: Für mich bitte durch einen typischen Vormittag.
Gloria: Also, ich stehe um halb sieben auf und fahre in die Veddler Blase. (Sie lacht). Veddel ist wie ein eigenes Dorf inmitten der Großstadt. Die Infrastruktur ist grausam, es gibt nur einen Penny und lange Zeit gab‘s nicht einmal eine Apotheke. Aber jeder kennt jeden. Und jeder, vom Grundschüler bis zum Abiturienten, geht auf diese Fritz-Schumacher-Schule, beziehungsweise jeder ist mal auf diese riesige Schule gegangen.
Um kurz vor acht bereiten wir dann den Unterricht vor, und um acht gehen wir gemeinsam die erste Gruppe Farbmäuse abholen.
Samya: Der Unterricht findet dann im Klassenraum statt?
Gloria: Nein, das wäre katastrophal. Wir sind in einer Werkstatt und der Raumwechsel ist total gut. Erstens fällt das Meiste des Hinterherputzens weg und zweitens verbinden die Kinder diesen Raum nicht mit dem normalen Schulalltag. Außerdem machen wir auch manchmal eine Sauerei (lacht) und das ist auch wichtig!
Auf jeden Fall sind beim Abholen der Kinder die Rituale ganz wichtig. Da sind ein paar zwischen, die sich so sehr freuen uns zu sehen, dass sie uns stürmisch um den Hals fallen. Am Anfang ist ganz wichtig: Ich sehe dich! Was erzählt werden muss wird erzählt und dann gehen wir gemeinsam hoch zur Werkstatt.
Samya: Eine Sauerei, dass die Kinder sich gegenseitig anmalen, statt das Papier, oder wie sieht das aus?
Gloria: Wasser! Ganz viel Wasser. Spätestens am Ende des Unterrichts. Vor allem die Jungs stehen total auf das Ritual die Tische zu wischen. Ich glaube, weil es dreckig ist. Aber auch während des Unterrichts, wenn wir zeichnen und die Kinder malen, durch das Papier auf den Tisch. Sauerei. Aber meine Schuld, weil ich zu dünnes Papier ausgeteilt habe. Außerdem ist Dreck toll. Es erweitert den Horizont. Wenn wir mit Wasserfarbe malen und das Kind über das Blatt hinaus auf den Tisch malt, zum Beispiel. Auf dem Blatt ist ein Bild, aber wenn wir dieses Blatt hochheben, entsteht etwas völlig Neues. Dann hat das Kind einen Rahmen erschaffen! Ja und Gott, dann wischt man das halt später wieder weg. Ist ja nicht das Ende der Welt.
Samya: Da braucht man aber eine ganz schöne Geduld und Ausdauer für. Ich glaube, die meisten Eltern würden die Krise kriegen, wenn das Kind auf den Tisch kritzelt.
Gloria: Hat auch etwas mit Selbstreflexion zu tun. Ich finde, man muss sich immer fragen: Warum verbiete ich das jetzt? Sind das meine Bedürfnisse? Also das Bedürfnis nach Sauberkeit, oder schadet es wirklich? Es muss doch nicht am Blattrand Schluss sein! Wortwörtlich. Außerdem habe ich keine Kinder (lacht).
Samya: Ja, da kann ich mir vorstellen ist die Geduld etwas größer. Wenn man die Kinder wieder abgeben kann.
Gloria: Ja! (lacht) Aber ich brauche es auch nicht, ich arbeite seit 22 Jahren mit Kindern. Ich habe auch kein Bedürfnis mehr nach Eigenen.
Ich habe im Unterricht meine Prinzipien, aber übertriebene Ordnung hat nun bei Kunst mit Kindern wirklich nichts zu suchen. Die Atmosphäre ist mir wichtig. Es geht um Wertschätzung und Respekt. Mir gegenüber, den Mitschülern und den Materialien. Es gibt klare Regeln und natürlich schimpfe ich auch mal. Kinder sind nicht einfach, vor allem nicht in Brennpunkten. Aber ich appelliere an der Empathie der Kinder und die Nachricht kommt an, es funktioniert. Kein Tag ist gleich und es ist auch anstrengend, aber ich habe immer etwas zu lachen.
Bei mir wird auch keiner gezwungen. Wenn einer partout die Aufgabe nicht machen will, wird das schon einen Grund haben.
Samya: Ist die pädagogische Aufgabe der Lichtwark eher Trauma Bewältigung oder geht es einfach nur um das kreative Entfalten?
Gloria: Kreativarbeit und Beziehungsarbeit. Es geht ja nicht nur ums Malen. Meine Arbeit an der Lichtwarkschule bildet in erster Linie das Selbstvertrauen, das was man selbst macht ist gut und es ist okay. Die Kinder sollen das Gefühl bekommen, dass sie sich ausprobieren können und dann sollen sie an Größe und Möglichkeiten gewinnen. Ich bin auch kein Fan vom “Vermalen”, weil Kinder gerne einfach nachmachen was ihnen gezeigt wird. Und manche Kinder von denen man nicht so viel erwartet, entwickeln dann am Ende zum Beispiel ein hammermäßiges Farbgefühl. Im Künstlerischen darf man nicht zu viel im Kopf haben, man muss sich auf das Phantasievolle einlassen! Und genau das ist das Geniale an Kindern im Vorschulalter. Das ist eine mystische Zeit. Ich kann von Zwergen reden und Drachen und sie stellen das nicht in Frage. Im Idealfall hat für sie der Ernst des Lebens noch nicht angefangen.
Sollten wir nun allerdings bemerken, dass ein Kind wirkliche Schwierigkeiten zu haben scheint, wird die Schule informiert und es gibt eine Kunst Therapeutin.
Samya: Nochmal wieder zurück zum typischen Tag (wir lachen), ihr habt dann ein Projekt für die Stunde und dann?
Gloria: Also ich mache mit beiden Gruppen das gleiche Projekt, klar, und nach der Begrüßung wird erstmal erklärt, was wir heute machen. Ich arbeite gerne übergreifend mit Bildern, Liedern und Reimen. Ich habe auch keine Hemmungen, den Kindern verschiedene Materialien gleichzeitig vorzustellen und mit einzubeziehen, genauso wie ich selber arbeite. Ich schätze an der Lichtwark die Hochwertigkeit der Materialien. Und dann ist den Kindern auch ganz wichtig wer das Papier verteilen darf! Das ist auch so ein Ritual. Am Ende jeder Stunde gucken wir uns die Kunstwerke an wenn Zeit ist, dann ist 30 Minuten Leerlauf und dann kommt Gruppe Nummer zwei.
Samya: Und dann fängt alles nochmal von vorne an.
Gloria: Genau.
Samya: Du hast gerade deine eigene Arbeit erwählt. Wie arbeitest du denn?
Gloria: Also ich habe mich auf Nichts festgelegt, aber in den letzten Jahren lag mein künstlerischer Schwerpunkt auf Installationen. Dazu zählen räumliche Installationen mit Möbeln oder Collagen, Fotographie und abstrakte Malerei. Ich mache eigentlich alles, wo ich mich ran traue. Ich habe auch mal drei Monate mit einem Huhn zusammengelebt.
Samya: Auch selbst ausgebrütet?
Gloria: Ja! Mein Freund ist Vogelbiologe, außerdem sind wir beide Vegetarier. Also habe ich ein Huhn ausgebrütet, und es übrigens Kükie genannt, und dann ihr und mein Gesicht fotografisch gemorpht.
Samya: Kükie, wie süß.
Gloria: Kükie war ein sehr kuscheliges Huhn.
Samya: Also doch auch politisch, beziehungsweise moralisch.
Gloria: Naja, woran ich Spaß habe ist ein gewisser Humor und eine gewisse Provokation. Aber Provokation ist relativ und am Ende mache ich keine Politik, ich mache Kunst! Ich will nicht belehren. Es geht um den Ausdruck meiner Gedanken und Ideen zu einem bestimmten Thema. Das ist dann eben auch gesellschaftskritisch.
Samya: Ich finde eine gewisse Gesellschaftskritik braucht es auch, um die Gesellschaft voran zu treiben.
Gloria: Ich finde Menschen brauchen einfach einen Weg, um für ihre Bilder und Phantasien ein Ausdrucksmittel zu finden. Natürlich gibt es einige Menschen auf dieser Welt, dessen Phantasien auf gar keinen Fall veröffentlicht werden sollten, aber in diesem Fall reden wir von Kindern. Kinder sind unschuldig, neugierig und probieren alles aus. Sie sind noch nicht so stark in diesem furchtbaren Bewertungssystem drin.
Samya: Es läuft schon so Einiges schief in dieser Welt.
Gloria: Ja, aber es gibt einen Weg, die Welt noch zu retten. Da glaube ich fest dran, ich bin ja kein Pessimist. Den ganzen Schaden, den die Menschen auf dieser Erde angerichtet haben, kann man noch rückgängig machen. Die Kinder werden etwas Positives mitnehmen. Und auch, wenn sie den Unterricht vergessen, werden sie eine positive Entwicklung mitgenommen haben.
Samya: Ist das der Grund, warum du diesen Job machst?
Gloria: Ich halte es für eine sinnvolle Aufgabe. Und ich finde, man sollte sich philosophisch fragen, ob man einen Beruf will oder einen Job. Fragt man sich am Ende des Lebens: Habe ich mich verwirklicht oder von meinem wahren Wesen abgekoppelt? Ich mag Kinder, ich habe Freude an ihrer Kreativität. Ich kann Kunst machen und damit Geld verdienen. Deshalb mache ich es.
- Die Bilder der Kinder werden am Ende des Unterrichts zum trocknen hingelegt.
- Diese Blumen helfen Gloria dabei den Kindern das aktuelle Projekt zu erklären.
- Alle sind eifrig dabei mit den unterschiedlichen Materialien ihre eigene Frühlingsblume zu erschaffen.
- Die Künstlerin und Pädagogin in einem Café.
- Gloria Van Krimpen