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Schockierend, schockierender, World Press Photo!

Ein brennender Mann als Symbol für ein brennendes Venezuela: Das Weltpressefoto 2018, Foto: Ronaldo Schemidt/Agence France-Presse

von Laura Carstens, 19.05.2018

Ein junger Mann mit Gasmaske, dessen Oberkörper in Flammen steht. Das zeigt das Weltpressefoto 2018 und symbolisiert damit die Unruhen in Venezuela. Unruhen, die beim Betrachten der Fotos auch in einem selbst ausgelöst werden. 

Die World Press Photo gilt international als der renommierteste Wettbewerb für Fotojournalisten und zeichnet dieses Jahr zum 61. Mal das Weltpressefoto des Jahres 2017 aus. Wie in der Vergangenheit werden wieder Krisen, Krieg und Katastrophen dargestellt und überwältigen die Besucher der Ausstellung. Der Fotograf Ronaldo Schemidt, der für eine französische Nachrichtenagentur arbeitet, hat das Gewinnerbild  “Venezuela Krise” zwischen Feuer und Flammen und inmitten eines riesigen Protests aufgenommen. Erster Platz, 10.000 Euro und jede Menge hervorgerufene Gefühle. Der brennende Mann ist der 28-jährigen José Víctor Salazar Balza, während er im Mai 2017 gegen den Präsidenten Nicolás Maduro in Caracas protestiert und dessen Oberkörper durch einen explodierten Tank Feuer fasste.

Trauer, Verzweiflung, Angst – Gefühle, die in vielen der Gewinnerfotos verkörpert werden. Schreiende und weinende Menschen, grausame Gewalttaten und schlimme Blutbäder. Abbildungen, die man oft nur aus Filmen oder Büchern kennt. Die aber auf dieser Welt auch die traurige Wahrheit darstellen. Und von den Fotografen in den perfekten, beinahe utopischen Momenten eingefangen wurden.

Die Stimmung im Ausstellungsraum ist fast schon erdrückend. Die Menschen betrachten ruhig die Kunstwerke, kaum einer spricht. Bis man bei der „Venezuela Krise“ angelangt ist, hangelt man sich an den anderen von der Jury ausgezeichneten Bildern entlang. Und stößt auf dieser Strecke möglicherweise an seine psychischen Grenzen. In der Kategorie “Harte Fakten” erlangt Toby Melville mit seiner Fotoserie den zweiten Platz. Sie zeigt ein Ereignis vom 22. März 2017, an dem ein Mann mit einem gemieteten Geländewagen über den Bürgersteig der Westminster Bridge in London rast. Fünf Tote und mindestens 40 Verletzte. Auf dem Bild ist eine auf dem Rücken liegende Frau, ihr Blick ist von Angst und Panik erfüllt. Eine weitere Frau beugt sich über sie, möchte sie augenscheinlich beruhigen. Blut fließt auf den Boden und die Menschen versuchen, einander zu helfen. Obwohl die Betroffene überlebt, verliert sie bei dem Angriff ihren Mann.

Platz eins ging in der selben Kategorie an David Becker. Bei dieser Fotoserie geht es um ein tragisches Blutbad vom 1. Oktober 2017 in Las Vegas. Ein Mann beschoss zehn Minuten lang eine Menschenmenge auf einem Festival, tötete somit 58 Menschen und verletzte über 500. Es sind nicht nur zahlreiche Verwundete zu sehen, sondern auch Menschen, die sich für andere opfern und sie beschützen. Ein Mann schmeißt sich mit allem was er hat über eine Frau, um sie mit seinem eigenen Leib zu schützen. Solche schlimmen Ereignisse führen vor Augen, was wirklich wichtig ist. Einige würden für einen geliebten Menschen alles aufgeben, sogar ihr eigenes Leben.

Besonders fesselnd ist die Aufnahme von Ryan Kelly, welche den zweiten Platz der Einzelfotos belegt. Es zeigt den 12. August 2017, als ein Auto in den USA in eine Gruppe von Demonstranten hineinfährt. Zu sehen ist nicht der Moment kurz davor oder die verletzten Menschen unmittelbar danach, sondern genau die Sekunde, in der die Personen vom Auto erfasst und in die Höhe schießen. Sie fliegen über Kopf, verlieren ihre Schuhe, die Shirts rutschen hoch und der Schock steht ihnen ins Gesicht geschrieben. Im Hintergrund halten die anderen Demonstranten ein Schild mit der Aufschrift “Love” hoch. Und so bekommt das Bild etwas Absurdes. So ein Unglück, obwohl eigentlich für die Liebe gekämpft wird. Und in dem Moment verspürten viele Menschen alles andere als Liebe, in dem sie zusehen müssen, wie ihren Freunden und ihrer Familie etwas zustößt. Es ist erschreckend, dass in solchen grausamen Situationen Aufnahmen gemacht werden, während es um Leben oder Tod geht. Es wirkt teilweise fiktiv, als sei es eine Welt, in die man eintaucht. Während der ganzen Ausstellung versinkt man in diese Welt, ist mittendrin statt nur dabei und taucht anschließend wieder auf.

Die Abbildungen berühren, nehmen emotional mit und ziehen auf eine erschreckende Weise runter. Wo es auf der einen Seite eine wichtige und gelungene Ausstellung ist, sehnt man sich auf der anderen Seite nach einem Zeichen auf eine positive Entwicklung in der Welt. Aber vielleicht soll sie das auch gar nicht. Denn sie zeigt die Probleme und Unruhen, mit denen jede Kultur zu kämpfen hat. Und das in einigen Regionen jeden Tag aufs Neue. Die Besucher sind in sich gekehrt. Jeder liest und guckt in Ruhe, nimmt sich Zeit, um emotional klarzukommen. Auch einige Schulklassen sind vor Ort. Die “Schockfotos”, wie sie ein Junge ergriffen bezeichnet, wirken auf jeden unterschiedlich und jeder muss selbst entscheiden, wie er damit umgeht. “Das Foto find ich krass”, heißt es immer wieder. Und plötzlich wird nicht mehr nur das Grausame in den Bildern gesehen.

“Das Foto ist wunderschön, das würde ich mir Zuhause aufhängen”, schwärmt eine Besucherin. Die Ausstellung geht über in die Kategorien “Sport”, “Umwelt” und “Natur”. Der erste Platz geht an Kadir van Lohuizen und thematisiert die drastische Umweltverschmutzung durch die Menschheit. Nach all den Eindrücken grausamer Attentate, Katastrophen und Gewalttaten ist es fast erleichternd, den Blick über 3,5 Millionen Tonnen Festmüll schweifen zu lassen. Denn es geht endlich mal nicht nur um den Menschen – denkt man zumindest im ersten Augenblick. Wie wichtig die heutigen Umweltprobleme wirklich sind, wird einem dann im zweiten Augenblick deutlich. Bis 2050 sei es möglich, dass das Gewicht des in den Ozeanen treibenden Plastiks das Gewicht sämtlicher Fische übertrifft. Und auch wenn es hier vordergründig nicht auf den ersten Blick um sterbende Menschen geht, ist es dennoch genauso problematisch. Denn wieder ist eine Krise im Fokus.

Die Ausstellung ist bedrückend und zeigt viele negative Eindrücke aus der Welt. Und dennoch ist sie hoch interessant, lebendig und tiefgründig. Ohne Journalisten, die in Krisensituationen ihr eigenes Leben in Gefahr bringen und berichten, blieben uns wichtige Ereignisse verschlossen. Dank den Einsendungen aus aller Welt ist es möglich, Einblicke in Situationen zu erhalten, in die man sonst als behüteter Westeuropäer nie kommen würde. Und sich somit das Grausame dieser Welt ein Stück weit mehr vor Augen zu führen.

Noch bis zum 3. Juni 2018 können Sie bei einem Eintritt von fünf Euro (ermäßigt drei Euro) in diese emotinale Welt eintauchen. Die World Press Photo Ausstellung öffnet täglich von 10 bis 18 Uhr, sowie mittwochs bis 20 Uhr, im Gruner + Jahr Pressehaus in Hamburg.

Foto: Ronaldo Schemidt/Agence France-Presse