Go to the top

Der eisige Spiegel der Gesellschaft

Die Klassiker Erdbeer, Schoko und Vanille; Foto: Couleur von Pixabay

von Kevin M., 07.11.2018

Es geht immer, es macht glücklich, es hat viele Variationen und ist laut §253 des Strafgesetzbuches ein legales Mittel der Erpressung für Eltern gegenüber ihren Kindern: Die Rede ist natürlich von Eis. Doch dass es unsere verlorene Gesellschaft reflektiert und Brücken zu Problemen des Kapitalismus und Sozialverhaltens schlägt, hat wohl niemand geahnt. 

Wer heutzutage eine dieser pseudo-italienischen Eisdielen aufsucht, in der man teilweise das Gefühl hat, dass mehr Geld in die dekadente Dekoration als in die Bezahlung der Mitarbeiter fließt, dem wird es sicher schon aufgefallen sein: Die Menschheit hat die Kontrolle verloren. Wer glaubt, dass ich mich mit dieser These aufs Glatteis begebe, kann sich wieder seinem Eukalyptus-Zitrone-Basilikum Eis zuwenden. Ich möchte nicht klingen wie mein Vater, aber was ist aus den guten alten Klassikern geworden? Was war an einfacher Vanille so falsch, an Schokolade nicht gut oder an Erdbeere nicht aufregend genug?

Die Gesellschaft ist im Wandel und bereitwillig in den Fängen des Kapitalismus und das sorgt dafür das wir mit einer Sache nicht mehr zufrieden sind. Wir wollen ALLES. Aus genau diesem Grund ist Schokolade nicht mehr gut genug und muss mit Nougat-Karamell-Haselnuss-Schoko ersetzt werden. Aus genau diesem Grund muss ich, wenn ich Erdbeer-Eis essen möchte, die Sorte Banane-Minze-Erdbeer-Aprikose bestellen. Am Ende habe ich alles gegessen, musste mich für nichts entscheiden, geschweige denn einen Geschmack entwickeln.

Das Problem ist, dass die Generation die mit diesen Sorten aufwächst und Eis ist nur eines von vielen Beispielen, gar nicht erst lernt sich zu entscheiden. Ein Kind muss nicht mehr wissen was es genau mag, denn in einer Eiskugel sind vier Sorten und eine davon wird schon schmecken. Das überträgt sich dann auf andere Bereiche im Leben des Kindes und am Ende der Schulzeit muss es wissen was es beruflich machen möchte. Da das Kind aber nicht gelernt hat was es mag und was nicht, steht es vor einer unlösbaren Aufgabe und wählt einen Beruf in dem es nicht glücklich wird.

Als ich klein war musste ich mich für EINE Sorte entscheiden und habe diese über die Jahre schätzen gelernt. Die Kinder heutzutage bekommen von allem etwas und somit nichts richtig. Deutliche Auswirkungen entstehen dann im Dating- bzw. Sozialerhalten. Statt zufrieden mit einem Partner zu sein, möchte man alle Sorten probieren. Offene Beziehungen sind das Resultat von Banane-Minze-Erdbeer-Aprikose-Eis, denn man findet Erdbeere zwar toll, aber man will auch die anderen Sorten testen.

Die Generation ist unfähig sich zu binden und das Endergebnis ist eine sprunghafte Gesellschaft von Menschen die zwölf verschiedene Dinge studieren, vier sexuelle Beziehungen gleichzeitig führen und nicht in der Lage sind EINEN Film zuschauen ohne sich von seinem geliebten Smartphone ablenken zu lassen.

Wir sollten alle unseren Konsum runterfahren und den Minimalismus wieder zu schätzen wissen, denn egal wieviel wir konsumieren und wieviel Sorten wir in eine Kugel Eis packen: Am Ende liegt unser Glück nicht in Produkten, sondern in uns selbst.

Foto: Couleur von Pixabay